Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Reihe alter Golfstiche. Vielleicht würde sie für Richard welche bei einer Auktion erstehen.
Nur, daß sie natürlich nichts dergleichen tun würde. Fleur biß sich auf die Lippen, setzte sich auf Richards Stuhl und drehte sich müßig herum. Das Fenster eröffnete die Aussicht auf den Garten: den Rasen, den Birnbaum, das Badmintonnetz, das Antony und Zara am Abend zuvor stehen gelassen hatten. Vertraute Anblicke. Zu vertraut. Erstaunlicherweise würde es ihr gar nicht so leichtfallen, sie aufzugeben. Und wenn sie ehrlich war, dann würde es ihr auch nicht leichtfallen, Richard zu verlassen.
Aber nun ja, im Leben fiel einem nun mal vieles nicht leicht. Fleur reckte das Kinn und trommelte, ungeduldig mit sich selbst, mit den Fingernägeln auf das polierte Holz des Schreibtisches. Sie hatte ihr Ziel noch nicht erreicht. Sie war noch keine reiche Frau. Deshalb würde sie weiterziehen müssen; sie hatte keine andere Wahl. Es hatte keinen Sinn, endlos auf das zu warten, was noch kleckerweise hereinkommen konnte. Richard war nicht der Typ, der spontan in letzter Minute einen Haufen Geld für ein Designerkleid oder ein Diamantenarmband hinauswarf. Sobald sie herausbekommen hatte, wieviel an Verlust er sich leisten konnte, würde sie mit der Gold Card abheben, was ging, das Geld nehmen und verschwinden. Wenn sie den Betrag elegant genug hinbekam – und das würde sie –, dann würde er den Verlust stillschweigend verdauen, heimlich seine Wunden lecken und sich damit trösten, daß er um eine Erfahrung reicher sei. Das tat diese Art von Männern immer. Und zu dem bewußten Termin wäre sie schon in einer anderen Familie, einem anderen Heim, möglicherweise sogar in einem anderen Land. Seufzend zog sie Richards Ablage zu sich her und begann, seine neueste Korrespondenz durchzusehen. Sie tat das langsam und widerstrebend, ohne recht bei der Sache zu sein. Ihr war nicht ganz klar, wonach sie suchte. Sie verspürte keinen rechten Kitzel mehr, irgendwie fehlte ihr der Biß. Früher einmal, da hatte sie jeden Brief eilig nach irgendwelchen Hinweisen überflogen; nach Möglichkeiten eines finanziellen Zugewinns getrachtet. Nun überflogen ihre Augen gleichgültig jede Seite, nahmen hier einige Worte und dort einige Sätze auf und schweiften dann weiter. Da war ein kurzer Brief über die Miete von Richards Londoner Wohnung. Die Bitte um eine Spende für eine wohltätige Einrichtung für Kinder. Ein Bankauszug.
Als Sie ihn aus dem Umschlag zog, spürte Fleur, wie ihr Herz ein wenig schneller schlug. Zumindest das hier konnte sich als interessant erweisen. Sie faltete das einzelne Blatt auseinander, und ihr Blick fiel automatisch auf das Guthaben am Ende, während sie im Geiste abschätzte, welchen Betrag sie wohl erwarten konnte. Und dann, als ihr klar wurde, was sie da las, hätte sie beinahe der Schlag getroffen. Ihre Finger waren plötzlich klamm; ihre Kehle war trocken; sie schnappte nach Luft.
Nein, dachte sie und versuchte, sich zu fangen. Das konnte nicht stimmen. Das konnte einfach nicht stimmen. Oder doch? Sie fühlte sich schwindelig vor Erstaunen. Sie schloß die Augen, schluckte, holte tief Luft und öffnete sie wieder. Noch immer stand da derselbe Gutschriftbetrag! Sie stierte ihn an, verschlang ihn im Geiste. War es möglich, daß diese Angabe korrekt war? Blickte sie wirklich auf … »Fleur!« rief Gillian von unten. Fleur fuhr zusammen und warf rasch einen Blick zur Tür. »Dein Taxi ist da!«
»Danke!« rief Fleur zurück. Ihre Stimme kam ihr piepsig und unnatürlich vor; sie bemerkte, daß ihre Hand zitterte. Mit einem leichten Schwächegefühl tasteten sich ihre Augen erneut über den Betrag. Was zum Teufel ging hier vor? Niemand, aber auch gar niemand hatte eine solche Summe einfach so auf einem Bankkonto. Außer, er war sehr dumm – was bei Richard nicht der Fall war – oder aber tatsächlich sehr, sehr reich …
»Fleur! Du verpaßt noch deinen Zug!«
»Ich komme schon!« Bevor Gillian womöglich noch hochkam, um sie zu holen, steckte Fleur den Kontoauszug eilig dorthin zurück, wo sie ihn gefunden hatte. Sie mußte über diese Sache nachdenken. Und zwar gründlich.
Für ihren ersten Tag mit Fleur hatte Philippa sich völlig neu ausstaffiert. Sie stand in der Waterloo Station, fühlte sich in ihrem zartrosa Kostüm etwas zu aufgemotzt und fragte sich, ob sie sich nicht doch etwas Salopperes hätte auswählen sollen. Aber sobald sie Fleurs ansichtig wurde, wichen ihre Zweifel. Fleur hatte sich sogar
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