Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Hüften fasste. Johlend glitten sie über das Eis.
„Komm mit“, rief Cornelia plötzlich und hängte sich ans Ende. Schnell lief ich hinterher, doch ich zögerte, ihre Taille festzuhalten.
„Los, beeil dich, wir wollen auch mitmachen“, hörte ich eine Männerstimme. Jemand packte mich von hinten und stieß mich gegen Cornelias Rücken. Ich umfasste ihre Körpermitte, die mir trotz der vielen Wollröcke schmal und zart vorkam.
„He, ho, he, ho“, riefen die Vordersten, und die ganze Menschenschlange bewegte sich im Gleichtakt voran, schwang in einer einzigen Bewegung zuerst nach links und dann nach rechts. Wir liefen die Amstel stromabwärts, bis die Stadt weit hinter uns lag, danach ging es wieder zurück.
Ich schloss die Augen und schwang im Rhythmus der anderen mit, fühlte mich eins mit den Menschen um mich herum. Ich war schwerelos und frei. Unendlich lange hätte ich so weiterlaufen können.
Noch vor wenigen Wochen hatte ich in der Schneiderwerkstatt meines Onkels gesessen, Kragen geplättet und Nähte aufgetrennt. Jetzt lebte ich in dieser bunten, lebendigen Stadt, hatte mit Hilfe des Herrn einen Auftrag meines Meisters zu Ende geführt. Und ich hielt ein Mädchen umfasst, das ich am liebsten gar nicht mehr losgelassen hätte. Nie zuvor war ich so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick.
Es war schon dunkel, als wir wieder nach Hause zurückkehrten. An allen Kanälen hatte man an diesem Tag Pechfackeln aufgestellt, die die zugefrorenen Wasserstraßen erhellten. Die Giebel der Häuser hoben sich wie spitze Dreiecke schemenhaft gegen den Nachthimmel ab.
Irgendwann, so träumte ich, würde ich berühmt sein und so viel Geld verdienen, dass ich ein großes Haus mit einem reich verzierten Giebel für unsere ganze Familie kaufen könnte. Ich selbst würde später in einer vornehmen Gegend wohnen, eine Kutsche und Pferde haben, und alle Leute auf der Straße würden mich grüßen.
Als wir die Stube betraten, saßen der Meister und Rebekka schweigend am Tisch. Sie wirkten bedrückt.
„Was ist los mit euch?“, fragte Cornelia. „Ihr seht so trübsinnig aus. Ein neues Jahr steht doch vor der Tür.“
Der Meister schwieg. Er hielt die Hände ineinander verschränkt und blickte starr auf den Tisch. Rebekka räusperte sich, dann sprach sie mit schwerer Zunge, so, als hätte sie schon einige Gläser Branntwein getrunken.
„Ich habe es vorhin von der Bäckersfrau erfahren. Der Salzhändler Thomas Anslo hat vorige Woche beim Hohen Rat in Den Haag einen Antrag auf Konkurs eingereicht.“
Ich verstand nicht, was diese Nachricht zu bedeuten hatte. Aber ich wollte mir keine Blöße geben und stellte keine Frage.
„Wir wollen noch einmal nach draußen gehen und nach der Katze sehen“, sagte Cornelia und zupfte an meinem Ärmel. Ich folgte ihr widerspruchslos.
Draußen lehnte sie sich gegen die Hauswand. Ihr Mund zitterte im Licht der Fackeln.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte ich beunruhigt und hoffte gleichzeitig, dass sie mich nicht für einen Dummkopf hielt. Aber die Dinge, die in der großen Stadt passierten, waren oftmals so fremd und unverständlich für mich.
„Der Salzhändler ist bankrott, er wird sein Haus, seine Möbel, seinen ganzen Besitz verlieren. Und er wird sein Bild nicht abholen, weil er es nicht bezahlen kann.“
Wie benommen ging ich zu Bett. Meine Kleider behielt ich an, denn mir war kalt. Noch lange lag ich wach, zusammengerollt wie ein Igel unter meiner Decke, und betete. Ich betete zu unserem Herrn für meine Eltern und Geschwister, für den Meister und Cornelia und ganz zum Schluss auch für mich. Und dass sich im kommenden Jahr doch noch alles zum Guten wenden würde.
Januar 1669
Die ersten Tage des neuen Jahres verstrichen ereignislos. Der Meister blieb stumm und sprach zu niemandem ein Wort. Als ich einmal gerade dabei war, Farben zu mischen, sah ich, wie er das Porträt des Salzhändlers, das immer noch auf der Staffelei stand, regungslos anstarrte. Er ging zum Fenster, und obwohl es draußen bitterkalt war, öffnete er eine Blende. Mit Wut verzerrtem Gesicht riss er das Bild von der Staffelei und schwang es über seinem Kopf, als wolle er es aus dem Fenster schleudern. Erst im letzten Moment besann er sich und hielt inne.
Das Gebaren des Meisters machte mir Angst. Ich duckte mich hinter meinen Reibeblock. Er klemmte das Bild unter den Arm und ging keuchend die steile Stiege zum Dachboden hinauf. Später brachte ich einen Folianten in die Kammer
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