Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
mit Bällen und Reifen oder narrten Passanten. Wohlbeleibte Amsterdamer Ratsherren standen in Gespräche vertieft beieinander. Ihre Kleider waren ganz in Schwarz, der Farbe der Regierenden, der Reichen und der Vornehmen.
Fremde Kaufleute eilten auf dem Weg zur Koopmansbeurs an uns vorbei. Das Gebäude überspannte die Amstel. Schuten konnten darunter hindurch fahren und sogar größere Schiffe mit niedergeholten Masten. Ich sah Männer in langen blauen und roten Gewändern und mit Pelz besetzten Kragen und Ärmeln. Einige trugen Felle über der Schulter. Seidenhändler marschierten mit kunstvoll geschlungenen Turbanen auf, trugen gezwirbelte Schnurrbärten und farbenprächtige Kleider. In ihren Schärpen stecken blitzende Säbel. An den Füßen trugen sie lange Schuhe mit Spitzen, die nach oben gekrümmt waren. Einigen Händlern gingen schwarzhäutige Diener voraus, die Gewürz- und Teesäcke schleppten. Sie alle redeten temperamentvoll und laut in fremden Sprachen, gestikulierten heftig und schienen so ganz anders als wir Holländer.
Wir zwängten uns durch das Menschengewirr, gingen weiter über die Damstraat und die Oude Hoogstraat und bogen nach links in den Klovenierswal ab. Mir fiel auf, dass die Häuser in dieser Straße viel größer waren als im Jordaan-Viertel, wo der Meister wohnte. Die Giebel waren mit prachtvollen Ornamenten verziert. Ein besonders prunkvolles hatte sogar Schornsteine auf dem Dach, die wie Kanonenrohre aussahen.
„Dort drüben ist es.“ Der Meister beschleunigte seinen Schritt. “Im oberen Stockwerk liegen die Versammlungsräume einiger Zünfte. Die Chirurgen treffen sich hier, die Bildermaler, außerdem die Schmiede und die Maurer.“
„Dann seid Ihr also öfters hier?“, fragte ich, doch der Meister machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Es ist schon Jahre her, seit ich das letzte Mal auf einer Sitzung der Lukasgilde war. Ich mag nicht über Standesregeln oder irgendwelche Neuerungen in der Malerei diskutieren. Sollen die anderen sich die Köpfe heiß reden.“
Nach mehr als einer halben Stunde Fußmarsch waren wir am Ziel. Vor uns mitten auf dem Sint-Anthonis-Markt erhob sich, wie auf einer Insel, ein mächtiger roter Backsteinbau. Mit seinen sieben Türmen, auf denen spitze graue Dächer wie Trichter saßen, überragte das Gebäude sogar noch die umliegenden Wohnhäuser. Auf dem Platz davor wurde ein Markt für Kleinvieh abgehalten: Kaninchen, Hühner, Enten und Gänse warteten auf neue Besitzer.
Wir schritten durch ein schlichtes braunes Holzportal. Männer eilten geschäftig zwischen Fässern, Tonnen und Schiffsankern hin und her. Jeder hatte mit sich zu tun, niemand achtete auf uns. Erst nach einigen Minuten Wartezeit bemerkte uns ein Diener.
„Kann ich euch helfen, Mijnheer? Wen sucht Ihr?“
„Der werte Praelector Adriaen van Campen hat mich zu sich bestellt.“
„Dann seid Ihr also der berühmte Rembrandt van Rijn?“ Ehrfürchtig blickte der Diener den Meister an und machte dann eine Verbeugung. „Es ist mir eine große Freude, dem größten Maler der Stadt persönlich zu begegnen. Ich bin ein Bewunderer Eurer Kunst. Jeden Tag sehe ich die beiden Anatomiebilder, die ihr vor einigen Jahren für die Gilde geschaffen habt. Sie hängen im Versammlungsraum der Doctores. Folgt mir bitte nach.“
Der Diener führte um das Gebäude herum zu einem der Ecktürme, in dem sich eine rote Holztür befand. In dem steinernen Dreieckgiebel darüber war das Wort “Hippokrates“ zu lesen. Mit einem großen Schlüssel öffnete der Diener die Tür und ging über eine Wendeltreppe voran in das obere Stockwerk. Wir standen in einen Vorraum, dessen einzige Möbel eine Bank und zwei Stühle waren. An den Wänden hingen die Porträts würdig gekleideter Männer. Der Diener erklärte uns, dass es sich um bereits verstorbene Professoren handele, die an der Universität in Amsterdam Medizin gelehrt hatten.
Vor einer dunklen Eichentür mit prachtvoller Blütenschnitzerei blieben wir stehen. Der Diener klopfte an und öffnete weit beide Türflügel. Sechs Doctores saßen in dem holzverkleideten Gilderaum an einem langen Tisch und diskutierten lebhaft miteinander. Als sie unser Kommen bemerkten, verstummten sie und richteten erwartungsvolle Blicke auf uns.
Ein Arzt, der am Kopfende des Tisches saß, stand auf und begrüßte den Meister.
„Ich bin erfreut, dass Ihr meinem Aufruf gefolgt seid, werter Meister Rembrandt. Mein Name ist Professor Adriaen van Campen. Seid
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