Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Meisters und las mit geröteten Wangen vor, wobei sie mit dem Finger den Zeilen folgte.
„An den ehrenwerten Meister Rembrandt van Rijn, Maler zu Amsterdam, wohnhaft an der Rozengracht. Ich, Adriaen van Campen, Doctor der Medizin und Praelector der Chirurgengilde dieser ehrwürdigen Stadt, ersuche den genannten Maler, ein Konterfei von mir zu erstellen, wie ich im Kreise meiner ärztlichen Assistenten einen Vortrag halte, um meine umfassenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Anatomie an jene weiterzugeben. Das Bildnis soll am siebzehnten Oktober dieses Jahres fertig gestellt sein, um für die Feierlichkeiten zu meinem zwanzigjährigen Berufsjubiläum den Vorlesungsraum der Chirurgengilde festlich zu schmücken. Da der besonderen Bedeutung dieses Anlasses Genüge getan werden soll, will ich bei Gefallen ein Honorar von dreitausend Gulden entrichten. Ich erwarte Eure Antwort noch in dieser Woche. Ihr könnt mich jeden Vormittag im Haus der Chirurgengilde antreffen. Mit ergebenem Gruße, Adriaen van Campen. Amsterdam, den 29. Januar, Anno 1669.“
Cornelia sprang auf und umarmte den Meister. „Ist das nicht großartig, Vater? Du sollst einen bedeutenden Professor malen, der deine Kunst zu schätzen weiß und der dich gebührend bezahlen wird. Was für ein Glück für uns alle.“
„Diesen Brief schickt uns der Himmel“, murmelte Rebekka und richtete ihren Blick zur Decke.
Ich überlegte, wie viele Geldbeutel man benötigen würde, um darin dreitausend Gulden abzufüllen. Niemals hatte ich von einer größeren Summe reden hören.
Bisher hatte der Meister nur trübsinnig dagesessen und geschwiegen, als hätte er Cornelias Worte gar nicht erfasst. Nun drehte er sich langsam mit ungläubigem Staunen zu ihr um.
„Lass mich das Schreiben einmal sehen, Cornelia. Möglich, dass jemand sich auch nur einen üblen Scherz mit mir erlaubt.“
Zweimal musste er den Brief lesen, um seinen Inhalt zu begreifen. „Dann ist es also doch wahr. Der Professor möchte, dass ich ihn bei einer Anatomievorlesung darstelle. Sicherlich in ähnlichen Manier, wie ich auch schon seine beiden Amtsvorgänger gemalt habe, die Doctores Nicolaes Tulp und Jan Deymann. 5 Und das Honorar ist fast doppelt so hoch wie damals, im Jahr zweiundvierzig, als ich den Ausmarsch der Bürgerkompanie des Hauptmanns Frans Banningh Cocq gemalt habe . “ 6
Der Meister sah uns an, freudig und erleichtert. Alle Mattigkeit war von einer Sekunde auf die andere verschwunden.
„Samuel, geh in die Werkstatt und suche Papier und Kohle für die Skizzen zusammen. Gleich morgen wollen wir mit der Arbeit beginnen. Und du, Rebekka, kauf das beste Rindfleisch, das du auf dem Markt bekommen kannst, und koch uns einen Hutsepot. Aber mit viel grünen Bohnen und Zwiebeln. Sag dem Fleischer, dass du in Kürze alle Rechnungen bezahlen wirst.“
Behände erhob sich der Meister und griff nach der Bibel in dem Wandschränkchen.
„Geht schon einmal. Ich will noch etwas für mich allein sein und unserem Herrn für die gute Nachricht danken. Wie lange habe ich von einem solchen Auftrag geträumt. Jetzt wird alles gut.“
Unser Ziel am nächsten Morgen war die Sint Anthonisbreestrat. Dort befand sich das Gildehaus der Chirurgen. Der Meister ging voraus und schlenkerte bei jedem Schritt mit den Armen, die er ein wenig vom Körper abgespreizt hielt. Zwei halbwüchsige Jungen sahen dies und äfften mit frechem Grinsen seinen Gang nach. Am liebsten hätte ich sie am Kragen gepackt und an den Ohren gezogen, denn niemand hatte das Recht, meinen Meister zu verunglimpfen. Doch ich trug die schwere Skizzenmappe und die Schatulle mit den verschiedenen Kreide- und Kohlestiften und hatte keine Hand frei. So musste ich mich damit begnügen, ihnen ein grimmiges „Verschwindet, ihr Lumpenkerle!“, zuzurufen.
Als wir die Westerkerk erreichten, schlug die Turmuhr die zehnte Stunde. Wir gingen nach rechts, die Prinsengracht entlang, in die Reestraat, von dort immer weiter geradeaus, über die Keizersgracht und die Heerengracht und schließlich über den Singel. Wir kamen zum Dam. Dieser Platz wurde von drei prachtvollen Bauwerken eingerahmt. Dem Stadhuis, der Nieuwe Kerk und der Koopmansbeurs. In der Mitte des Dam lag die Alte Stadtwaage, vor deren Eingang sich exotische Waren stapelten.
Ganz Amsterdam schien sich an diesem Ort versammelt zu haben. Marktstände standen dicht an dicht, Frauen erledigten hier ihre Einkäufe, die sie in geflochtenen Henkelkörben nach Hause trugen. Kinder spielten
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