Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Atelier für die Schüler. Das Dachgeschoss war zweigeteilt: in der einen Hälfte wohnte Titus, in der anderen schliefen die Schüler. Und Rebekkas Reich war ganz unten, in der Küche.“
Bestimmt war es dem Meister nicht leicht gefallen, dieses prächtige Haus zu verkaufen und in das kleine, bescheidene an der Rozengracht zu ziehen. Beklagt hatte er sich deswegen nie, sagte Cornelia. Weitaus mehr schmerzte ihn offenbar der Verlust seiner Sammlung.
Wir nahmen den Rückweg über die Sint Anthonis Sluis und kamen zur Oude Schans. Direkt an der Straßenecke zur Nieuwe Hoogstraat lag auf der linken Seite die Schenke „De Zeven Fleschjes“. Die Tür stand weit offen, innen spielten ein paar Musiker auf, und die Gäste sangen laut mit. Da traten zwei Männer vor das Wirtshaus, von denen mir der kleinere bekannt vorkam. Seine schwarzen Locken waren von weißen Haaren durchzogen. Es war der Anatomieprofessor Adriaen van Campen. Schnell legte ich Cornelia die Hand auf den Arm, um sie aufzuhalten. Ich wollte nicht an dem hohen Herrn vorbeigehen, denn ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten musste. Sollte ich, der ich für ihn immer nur Luft gewesen war, grüßen oder nicht?
Sein hagerer, fast zwei Köpfe größerer Begleiter beugte sich zu dem Professor hinunter und sagte etwas zu ihm, das den Medicus zu einem zustimmenden Kopfnicken veranlasste. Die beiden blieben noch eine Weile vor dem Wirtshaus stehen, ganz in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Dann klopften sie sich gegenseitig auf die Schulter und schüttelten sich die Hände.
„Was sehen meine entzündeten Augen?“, hörte ich plötzlich eine Stimme. Zwei zerlumpte Landstreicher standen in geduckter Haltung hinter uns. Sie hielten eine Schale in der ausgestreckten Hand und bettelten um Almosen.
„Verdammt nochmal! Dieser Lange da drüben, den kenne ich doch … Jetzt aber nichts wie weg.“
Die beiden Männer machten auf der Stelle kehrt und torkelten weiter Richtung Oude Schans, wobei sie eine Wolke aus Bier und Schnaps zurückließen.
Cornelia verzog das Gesicht. „Wer sind die vornehmen Herren?“
„Der kleinere ist Professor Adriaen van Campen, der Meister malt gerade sein Porträt.“
Bevor sie weiter fragen konnte, trat aus dem Hauseingang, vor dem wir gerade standen, ein alter Mann. Er entdeckte die beiden Männer vor der Schänke und blickte vorsichtig an sich herunter, als wolle er sich vergewissern, dass sein Äußeres in untadeligem Zustand war.
„Was steht ihr da so herum und gafft?“, herrschte er uns an. „Solltet ihr um diese Zeit nicht längst zu Hause sein? Passt nur auf, dass man euch nicht für ein Diebespärchen hält, das rechtschaffene Bürger belauert.“
„Aber nein, das sind wir nicht“, sagte ich erschrocken und legte meinen Arm schützend um Cornelia.
„Wollte ich euch auch geraten haben. Ihr wisst vermutlich nicht, wer der Mann da drüben ist, hä? Der lange, der aussieht wie ein Eichenpfahl, den man, ohne ihn anzuspitzen, in den Boden rammen kann?“
Wir schüttelten den Kopf.
„Dann prägt Euch sein Gesicht gut ein. Das ist Albert Rip, unser neuer Polizeihauptmann. Er und seine Assistenten haben ihre Augen überall, denen entgeht in dieser Stadt nichts mehr. Ich sage das nur, damit ihr nicht auf irgendwelche dummen Gedanken kommt. Der kleine Dicke neben ihm ist sein Schwager. Er soll Medicus sein und an der Universität lehren. Jaja, die Reichen. Stecken alle miteinander unter einer Decke.“
Der Alte schloss sorgfältig die Haustür und schlurfte die Straße hinunter Richtung Sint Anthonis Markt.
„Albert Rip. Wo habe ich den Namen denn schon einmal gehört?“, versuchte Cornelia sich zu erinnern. „Ach genau. Rebekka hat kürzlich von ihm erzählt. Na, der sah aber wirklich nicht freundlich aus. Da bekommt man ja Angst, obwohl man überhaupt nichts Böses getan hat. Komm weiter, Samuel, es ist gleich sieben. Vater wird immer so schnell unruhig, wenn ich mich nur ein paar Minuten verspäte.“
Sie nahm meine Hand, und wir liefen den Rest des Weges, ohne nach links oder rechts zu schauen, bis wir außer Atem an der Rozengracht ankamen.
Juli 1669
Mittlerweile hatte der Meister große Partien des Anatomiebildes fertig gestellt. Es war beeindruckend zuzusehen, wie er den Personen mit jedem Pinselstrich mehr Leben einhauchte.
In der rechten Bildhälfte erschien der Professor in seinem schwarzen Gewand und mit einem hohen Hut. Er war schräg von vorne zu sehen, um einiges größer als in
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