Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Wasser.
„Wiwi wiwi, kommt hierher. Seht nur, was ich euch mitgebracht habe.“
Sie warf ein paar Zwiebackstücke ins Wasser, die die Schwäne wieder ans Ufer lockten. Einige Enten hatten die Leckerbissen ebenfalls entdeckt und beeilten sich nun, auch ein paar Stücke zu erwischen. Ich holte meine Brotstücke aus der Tasche, und sofort kamen auch vom gegenüberliegenden Ufer weitere Enten laut quakend angeflogen und stritten um die dicksten Brocken. Ein Haubentaucher, der mit seinen beiden Jungen auf dem Rücken neugierig aus dem Schilf auftauchte, wurde lauthals und mit heftigem Flügelschlagen in die Flucht getrieben.
„Komm, wir setzen uns hier auf die Bank“, schlug Cornelia vor. Aus ihrem Korb förderte sie Käse, Honigkuchen und Mandeln zutage. Der lange Fußmarsch und die frische Luft hatten uns hungrig gemacht, und wir langten kräftig zu. Dabei floss unser Gespräch wie von alleine. Cornelia erzählte von der Zeit, als sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder hier spazieren gegangen war, und ich berichtete von meiner Familie und dem Leben auf dem Land, mehrere Stunden Fußmarsch von hier entfernt.
Manchmal berührten sich unsere Schultern. Ihre Haut war zart gerötet, und ich roch den feinen Duft von Chinaäpfeln. Er rührte von den getrockneten Schalen her, die sie in einem Säckchen in der Truhe zwischen ihren Kleidern aufbewahrte. Cornelia hatte mir nachträglich zu meinem Geburtstag ein selbst genähtes Leinensäckchen geschenkt. Es war mit Pfefferminzblättern gefüllt.
Ich stellte mir vor, dass ich vielleicht noch viele Male mit ihr hier sitzen könnte, wenn es mir nur gelänge, genügend Geld für ein weiteres Lehrjahr aufzutreiben.
„Ich muss dich etwas fragen, und du musst mir ehrlich antworten, Cornelia. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich dein Porträt mit dem Blütenkranz verkaufe?“
Die Sonne blendete. Sie hielt sich eine Hand vor die Augen und blinzelte mich erstaunt an.
„Nein, warum fragst du überhaupt? Ein Bild ist doch dazu da, dass es verkauft wird. Geld ist etwas sehr Wichtiges. Früher, da habe ich manchmal Angst gehabt, dass wir nicht genug zu essen hätten. Deswegen bin ich richtig erleichtert, dass Vater wieder einmal einen großen Auftrag bekommen hat. Hast du eigentlich schon einen Käufer für dein Bild?“
„Vielleicht, ich bin mir nicht ganz sicher. Pieter Leyster hat gesagt, dass ich ihm das Bild zeigen soll, wenn es fertig ist.“
„Pieter ist etwas eigenartig, es werden oft merkwürdige Dinge über ihn erzählt. Aber er hat ein gutes Herz. Nach dem Tod meiner Mutter wollte er meinem Vater etwas Geld aus der Armenkasse der Gilde zukommen lassen. Er ahnte schon, wie schlimm unsere Situation damals war. Aber Vater war natürlich viel zu stolz. Er wurde gegenüber Pieter sogar grob, er hat ihn beschimpft und gebrüllt, er hätte sich noch niemals von jemandem aushalten lassen. Daraufhin hat Leyster über einen Mittelsmann einige von Vaters Radierungen gekauft und einen ziemlich hohen Preis dafür bezahlt.“
Eine ganze Weile noch blieben wir auf der Bank sitzen und schauten den Schwänen zu. Die Sonne stand tief, die Schatten wurden länger. Libellen schwebten zwischen den Schilfhalmen, ein Graureiher zog mit eleganten Schwüngen seine Runden über dem Wasser. Als wir aufstanden, nahm Cornelia meine Hand und drückte sie gegen ihre Wange.
„Fühl nur, wie heiß mein Gesicht ist. Hoffentlich habe ich mir keinen Sonnenbrand geholt. Ich möchte nicht, dass du mich mit Hitzepusteln siehst.“
Untergehakt gingen wir gingen den Deich entlang zurück zur Stadtmauer. Als wir an der Blauw Brug vorbeikamen, schlug die Glocke der Zuiderkerk sechs Uhr. Wir hatten also noch eine Stunde Zeit bis zum Abendessen.
„Lass uns einen kleinen Umweg machen, über die Jodenbreestraat. Hier bin ich aufgewachsen. Und ich würde so gerne unser Haus einmal wiedersehen. Vater ist schon lange nicht mehr mit mir hier gewesen. Vielleicht, weil ihn die Erinnerung an diese Jahre nur traurig macht.“
Wir schauten von das hohe, breite Haus von der gegenüberliegenden Straßenseite aus an. Hier also hatte der Meister fast zwanzig Jahre lang gelebt.
„Hier vorne rechts ging es in die Diele, und links, da, wo du die beiden Fenster siehst, war mein Zimmer. Direkt dahinter lag die Werkstatt mit der Druckerpresse. Meine Eltern hatten ihren Schlafraum nach hinten, zur Gartenseite hin. Im ersten Stockwerk waren das Atelier und die Räume für die Kunstsammlung, und im zweiten Stockwerk das
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