Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Malern. Natürlich war ich mir ganz sicher, dass mein Lehrer Recht hatte. Die Darstellung des Menschen ist nämlich die wichtigste und erhabenste Form von Malerei. Pastor Goltzius hatte in seinen Predigten den Menschen die Krone der Schöpfung genannt, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes. So steht es in der Bibel. Selbst das vollkommenste Stillleben mit den prächtigsten Blumen, den edelsten Gläsern und funkelndsten Silberpokalen würde niemals an die Darstellung des ärmsten aller Tagelöhner heranreichen. Das jedenfalls belegten die Werke des Meisters.
Die beiden Männer hörten nicht auf, sich zu ereifern. Ihre Wangen glühten, was sowohl von der Hitzigkeit ihrer Temperamente als auch vom Wein herrühren mochte.
„Überdies liebe ich die Farben der Natur, das Rot einer Rose, das Blau des Sommerhimmels oder das Gelb einer reifen Zitrone“, erklärte Pieter Leyster und fuhr mit spöttelndem Unterton fort. „Ihr dagegen, mein Freund, bevorzugt die Farbpalette der Erde. Erlaubt mir, darauf hinzuweisen, das diese nur ein Teil der Farben umfasst, die Gott den Menschen in der Natur gegeben hat.“
„Und wie urteilt Ihr über das Porträt meiner verstorbenen Frau, auf dem ich sie als Göttin der Blumen dargestellt habe?“, entgegnete der Meister heftig. „Ihr Kleid hat die Farbe von reifen Pfirsichen, der Strauss, den sie in der Hand hält, würde jedem Blumenmaler zur Ehre gereichen. “ 14
„Ich erinnere mich sehr gut an dieses bezaubernde Bildnis. Und ich muss sogar zugeben, dass Euch die Elemente der Natur recht überzeugend geraten sind. Allerdings ist das Bild in Eurem Werk doch nur eine Ausnahme. Ihr wart damals frisch verheiratet und bis über beide Ohren in Eure Frau verliebt.“
Die Betroffenheit in den Augen des Meisters zeigte, dass ihn die Erinnerung schmerzt, die sein Gegenüber durch diese Worte hervorgerufen hatte.
„Eure tiefen Gefühle haben Eure Palette zum Leuchten gebracht“, fuhr Pieter Leyster fort. „Schade, dass der Strauss nur Teil des Porträts ist und nicht sein eigentlicher Inhalt, wie in meinen Stillleben. Ich finde, lieber Freund, Ihr hättet ruhig einen größeren Strauß malen sollen.“
Noch eine ganze Weile argumentierten die beiden Männer um die Wette. Keiner war bereit, auch nur ein winziges Stück von seinem Standpunkt abzurücken, jeder beanspruchte für sich, das höhere Genre der Malerei zu vertreten. Der Meister mit dem Porträt, Pieter Leyster mit dem Stillleben. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass sie sich trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten kein bisschen gram waren. Beide konnten ihren stillen Respekt vor dem Werk des anderen nicht verhehlen.
Erst als es dämmerte, verabschiedete sich Pieter Leyster. Er hatte sich bereits zum Gehen gewandt, als sein Blick auf die Staffelei mit dem noch unvollendeten Porträt von Cornelia fiel.
„Dieses Bild stammt von dir, nicht wahr, Samuel? Es hat eine überaus anmutige Ausstrahlung, die insbesondere von dem Blütenkranz im Haar herrührt“, meinte er schließlich und sah mich aus seinen dunklen, samtigen Augen versonnen an.
„Komm mich doch einmal besuchen, wenn das Bild fertig ist. Vielleicht kaufe ich es dir ab. Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler und zahle einen guten Preis, wenn mir etwas gefällt. Dann zeige ich dir auch die Werkstatt und stelle dich meinen Schülern vor. Ich habe vier, alle in deinem Alter. Du musst es mir versprechen, Samuel Bol. Sonst bin ich dir böse.“
Pieter Leyster sprach meinen Namen aus, als ließe er gerade einen seiner wohlschmeckenden italienischen Mandelbaisers auf der Zunge zergehen. Errötend versprach ich, ihm das Bild zu zeigen, sobald es fertig war.
Mit jedem Tag wurde Cornelia schöner. Mitunter beobachtete ich sie heimlich, wie sie sich über den Stickrahmen beugte oder mit Paulintje spielte. Vom Atelierfenster aus schaute ich ihr nach, wenn sie sich einen Korb umhängte und zum Einkaufen ging. Sobald ich mit ihr allein war, schlug mein Herz schneller. Meine Gedanken kreisten immer öfter um sie, außer, wenn ich gerade bei dem Meister Unterricht hatte oder ihm beim Herstellen der Farben half. Ich suchte ihre Nähe, und wenn sie die Fortschritte an ihrem Porträt lobte, rieselten wohlige Schauer über meinen Rücken. Ich war glücklich, wenn sie zu Scherzen aufgelegt war.
Damals beim Silvesterlauf, an meinem Geburtstag, hatte ich ihr etwas versprochen. Sobald der Sommer käme, wollte ich mit ihr einen Ausflug ans Ufer der Amstel machen und Schwäne füttern.
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