Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
rieb.
„Ich möchte Euch eine Idee vortragen, Meister Rembrandt. Wie wäre es, Ihr würdet rechts hinter den Medicus, an der Stelle, an der der Raum ganz leer ist, den Saaldiener malen? Er könnte aus dem dunklen Hintergrund auftauchen und das Instrument herein ragen. Die Aufmerksamkeit des Betrachters würde weiterhin auf dem vortragenden Professor ruhen. Das Mikroskop wäre erst auf den zweiten Blick erkennbar und würde trotzdem, wegen der räumlichen Nähe zum Medicus, direkt mit ihm in Verbindung gebracht werden.“
Der Meister runzelte die Stirn und hielt einen kurzen Moment beim Malen inne. Dann pfiff er leise und mahnend durch die Zähne.
„Und was ist mit der ausgeprägten Wahrheitsliebe des Herrn Adriaen van Campen? Die scheinst du wohl ganz vergessen zu haben. Was, glaubst du eigentlich, würde der Professor zu einer Szene sagen, die sich während seiner Vorlesung so überhaupt nicht zugetragen hat? Ich werde eine andere Lösung suchen müssen.“
Enttäuscht senkte ich den Kopf. Es stimmte, was der Meister sagte. Ich hatte nur noch an eine möglichst spannungsvolle Komposition gedacht und nicht mehr an die strengen Anordnungen des Professors. Drei Tage später stellte ich fest, dass der Meister an dem Bild etwas verändert hatte. Rechts im Hintergrund tauchte schemenhaft eine Gestalt auf. Es war der Saaldiener mit dem Mikroskop.
Wegen der Größe des Gemäldes hatte der Meister schon zahlreiche Pinsel verbraucht. Ich begleitete ihn zu einem Händler in der Zandstraat, wo er gleich ein ganzes Dutzend neuer auf Vorrat kaufte. Der portugiesische Inhaber war ein schmaler, dunkelhaariger Mann mit einem gezwirbelten Schnurrbart. Er zeigte sich erfreut, den Meister nach langer Zeit wiederzusehen. Die beiden Männer kannten sich seit vielen Jahren und begannen augenblicklich, über die Qualität von Marder- und Wildschweinborsten zu fachsimpeln. Der Händler erkundigte sich nach Cornelia und erinnerte sich lachend daran, wie sie ihn als kleines Mädchen einmal gefragt hatte, ob man für die Herstellung von Pinseln Schnurrbarthaare verwenden würde. Als wir uns verabschiedeten, bot der Kaufmann an, neues Material von seinem Laufburschen bringen zu lassen, sollte der Meister einmal nicht genügend Zeit haben, persönlich vorbeizukommen.
Der Rückweg führte uns an dem Wirtshaus „Admiral Potter“ vorbei, aus dessen offen stehenden Fenstern Tanzmusik ertönte. Der Meister verlangsamte seinen Schritt und summte ein paar Takte mit.
„Ich glaube, ich sollte meinen Augen einmal etwas Anderes gönnen als ehrfürchtig dreinblickende Doctores. Lass uns hineingehen und etwas trinken. Mir ist nach bodenständigen Menschen zumute, die zechen und tanzen.“
Wir setzten uns an einen freien Tisch am Fenster, wo es heller war und die Luft nicht so stickig wie weiter hinten im Raum. Der Meister holte sogleich seinen Skizzenblock hervor und zeichnete eine Gruppe von Männern, die an einem der Nachbartische saßen. Sie rauchten Pfeife und spielten dabei ‘Roemsteken’, dass die Karten nur so über die Tischplatte flogen.
Einige Frauen sangen zu den Melodien des Orchesters, das aus zwei Geigen und einem Rommelpot bestand. Man hätte kaum sagen können, wer die falscheren Töne erzeugte, die Musiker oder die Sängerinnen. Die tanzenden Paare schien das nicht zu kümmern. Sie vollführten eine Mischung aus ‘Heb den Fuß’ und ‘Sieben Sprünge’, bis sie sich johlend in immer schnelleren Kreisen drehten.
Ein Junge, etwa im selben Alter wie mein jüngster Bruder, schlich sich an den Nebentisch und nutzte die Unaufmerksamkeit der Kartenspieler aus, indem er heimlich aus ihren Bechern trank. Seine Schwester saß auf einem Schemel in der Ecke und suchte einen mageren Hund mit struppigem Fell nach Flöhen ab.
„Mein lieber Freund! Welche Überraschung, Euch ausgerechnet an einem solchen Ort anzutreffen. Was hat Euch denn dazu veranlasst, plötzlich die Gesellschaft von Menschen zu suchen?“
Ich roch Lavendel. Draußen, auf dem Gehweg, stand Pieter Leyster und schaute durch das offene Fenster in die Gaststube. Er lüftete den Hut und machte eine leichte Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtete, hatte ich das Gefühl, als würden seine Blicke durch meine Kleidung hindurch auf den Grund meiner Seele dringen. Ich errötete. Noch ehe mir eine glaubhafte Ausrede für eine Flucht eingefallen war, stand er auch schon an unserem Tisch und setzte sich neben mich auf die Bank, dem Meister gegenüber. Dieser nickte ihm nur
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