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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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an den Hauswänden festhielt, um nicht zu stolpern. Und da hatte ich immer angenommen, dass man nur auf einem Schiff seekrank werden könnte. Rebekka öffnete mir mit vorwurfsvollen Blicken. Ich lief in den Garten und tauchte meinen Kopf einige Male in die Zisterne mit dem Regenwasser, bis ich nach Luft schnappen musste. Allmählich fühlte ich mich wieder besser.
    Gleich morgen würde ich meinen Eltern schreiben, sie sollten sich wegen meiner Lehre keine Gedanken machen. Und dass ich mit Gottes Hilfe so viel Geld verdient hätte, dass ich zwei weitere Jahre bei Meister Rembrandt in Amsterdam bleiben könnte.
    Zur Abendmahlzeit verzichtete ich auf das Bier und trank stattdessen nur Buttermilch. Als ich den schweren, klobigen Becher zum Mund führte, stellte ich mir vor, wie ich später einmal aus Gold verzierten, dünnwandigen Porzellantassen trinken würde und aus silbrig schillernden Glaspokalen.

    Vor dem Zubettgehen öffnete ich die Tabakdose und zählte die Münzen nach. Ich spürte ihr Gewicht in meinen Händen und schloss die Augen. Unter dem Deckel war auf der Innenseite eine Szene verborgen, wie ich sie von den Darstellungen griechischer Vasenbilder in Pastor Goltzius Almanachen kannte. Dargestellt waren zwei Männer, die nackt miteinander kämpften. Aber vielleicht tanzten sie auch.
    Nachdenklich legte ich die Dose zuunterst in die Truhe neben meinem Bett, in der sich meine wenigen Habseligkeiten befanden. Ich beschloss, in Zukunft lieber einen Umweg zu machen und das Haus von Pieter Leyster zu meiden.

    August 1669
    Das Bildnis des Professors nahm immer mehr Gestalt an. Der Meister war voller Tatendrang und arbeitete fast ununterbrochen. Inzwischen hatte er auch den Leichnam vollendet, den ich nicht anschauen konnte, ohne an die Hinrichtung auf dem Marktplatz denken zu müssen oder an die Vorlesung des Professors. Jedes Mal erschauerte ich aufs Neue.
    Um die bläuliche Blässe des toten Körpers möglichst genau zu treffen, verwendete der Meister ein Bleiweiß, das er mit Lampenrußschwarz, Rot- und Goldocker sowie einer Spur Zinnober mischte. Die von der Kälte geröteten Hände und Gesichter der lebenden Ärzte standen ganz im Gegensatz zu der blassen, wächsernen Haut des Toten, dessen Körpermitte von einem weißen Tuch verdeckt war.
    Der Bildvordergrund war dergestalt angeschnitten, dass man das Gefühl hatte, unmittelbar in die Szene hineingezogen zu werden, wie ein stummer Zeuge. Um dieser Wirkung willen hatte der Meister den Leichnam in einer Schräge zur Bildebene angeordnet. Er hatte den Winkel so geschickt gewählt, dass der Tote genau die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zog. Der Tisch, auf dem der Leichnam lag, war eigentümlich schief. Der Betrachter blickte gleichzeitig von oben auf den Tisch und seitlich darauf.
    Dies war jedoch keineswegs ein Mangel, sondern zeugte von dem überragenden Können des Meisters. Ihm ging es darum, einen Vordergrund zu schaffen, auf dem der wächserne Leichnam umso deutlicher hervortrat. Daher schien es ihm nötig, die richtige Perspektive zu missachten - eine Methode, die das alleinige Vorrecht eines Genies ist. Denn es bedarf unbedingter Meisterschaft, bevor man die Realität der Wirkung wegen außer Acht lassen darf.
    Bis jetzt hatte der Meister noch offen gelassen, an welcher Stelle er das Mikroskop setzen würde. Wir sprachen miteinander über den rechten Platz, und der Meister fragte mich nach meiner Meinung. Ich schlug ihm vor, am rechten Bildrand, direkt hinter dem Rücken des Medicus, einen Tisch einzufügen. Dort sollten, wie bei einem Stillleben, das Mikroskop, einige chirurgische Instrumente und eine Sanduhr zu sehen sein, wie wir sie im Arbeitszimmer des Professors auf seinem Schreibtisch gesehen hatten.
    In dem Moment, als ich diesen Gedanken vortrug, spürte ich, dass es noch eine andere, bessere Lösung geben musste. Auch der Meister schien mit meiner Antwort nicht zufrieden. Er runzelte die Stirn und malte einstweilen an den Füßen des Toten weiter, dessen Knochen und Sehnen freilagen. Ich bat den Meister, er möge mir einen Tag Bedenkzeit geben, weil ich das Problem noch einmal überschlafen wollte.
    In der Nacht zog das Bild im Traum an mir vorbei. Jedem einzelnen Quadratzentimeter spürte ich solange nach, bis ich eine Stelle entdeckt hatte, an der ich ein Ungleichgewicht bemerkte.
    „Du siehst heute gar nicht ausgeruht aus, Samuel“, meinte der Meister, als ich am nächsten Morgen ins Atelier kam und mir den Schlaf aus den Augen

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