Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
dass zwei meiner Schüler erkrankt sind. Somit sehe ich mich außerstande, meine Aufgabe in der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu erfüllen. Ich weiß aus eurem Munde, dass Euer Anatomiestück unmittelbar vor der Vollendung steht, ein Werk, mit dem Ihr Euren Ruhm für die Nachwelt festigt. Es wäre daher ein Zeichen äußersten Entgegenkommens, wenn Ihr Euren Schüler Samuel Bol, der sich in der Darstellung von Blumen bereits als überaus geschickt erwiesen hat, für einige Wochen zu mir schicken könntet. Dies soll keinesfalls zu Euren Nachteil geschehen, lieber Freund, ich werde Euch Eure Großzügigkeit nicht minder großzügig vergelten. Am morgigen Tag wird eine Versteigerung im Haus des Bankiers van Houten stattfinden, bei der Ihr sicherlich zugegen sein werdet, wie ich Euch kenne. Der Weg dorthin führt direkt an meiner Haustür vorbei, und Ihr werdet mir, so hoffe ich, dann Eure Zusage geben können. Euer sehr ergebener Freund Pieter Leyster. Amsterdam, den 27. September, Anno 1669.“
Ich muss wohl eine ganze Weile verdutzt auf den Brief in der Hand gestarrt haben. Der Meister trommelte schon ungeduldig mit den Fingern auf der Armlehne.
„Also, was ist, Samuel? Willst du für eine Weile bei ihm arbeiten? Das Bild für den Professor ist fast fertig, ich könnte dich also entbehren. Außerdem käme mir das Geld im Augenblick sehr gelegen. Der Vorschuss des Medicus reichte nur für das Nötigste, und das restliche Honorar wird erst in einigen Wochen kommen.“
„Ihr wollt mich also … verkaufen?“, fragte ich empört und fühlte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend bei dem Gedanken, dass Pieter Leyster die Erkrankung seiner Schüler vielleicht nur zum Vorwand genommen hatte, um mir erneut nachzustellen.
„So war es nicht gemeint“. Beschwichtigend legte der Meister seine Hand auf meinen Arm. „Natürlich kannst du weiterhin hier wohnen bleiben und würdest nur gelegentlich aushelfen. Du wirst eine Menge über Malerei lernen. Vor allem, wie man Kontakte mit den richtigen Leuten pflegt und sie für die Arbeit nutzbar macht. Eine Fertigkeit, die ich dich jedenfalls nicht lehren kann“, setzte er bedrückt hinzu und richtete seinen ziellosen Blick aus dem Fenster, sodass ich schon fürchtete, der Meister würde wieder in Schwermut verfallen.
Ich holte tief Luft und war selbst erstaunt darüber, wie laut und energisch meine Stimme klang.
„Ich will kein Pflanzenmaler werden, Meister Rembrandt. Ich will Porträtmaler werden. Seit langem träume ich von nichts anderem, und deswegen bin ich auch zu Euch gekommen. Als Ihr die Skizzen in der Chirurgengilde angefertigt habt, da war ich an Eurer Seite. Später habe ich die Leinwand grundiert und Euch jeden Tag die Farben frisch hergerichtet. Deswegen werde ich auch neben Euch stehen, wenn Ihr den letzten Pinselstrich setzt und danach für Euch den Firnis anrühren. Was das Geld angeht, so kann ich Euch auf der Stelle zweihundert Gulden im Voraus für meine nächsten Lehrjahre bezahlen. Wartet, ich hole sie gleich.“
“Nein, Samuel, es tut mir Leid. Ich weiß jetzt, wie du darüber denkst. Morgen werde ich zu Pieter Leyster gehen und ihm sagen, dass ich auf meinen Schüler nicht eine Minute lang verzichten kann.“
Zwischenruf des Verfassers
Ich muss müde blinzeln, und sofort sehe das Atelier wieder vor mir, jede kleinste Einzelheit. Ich höre die volltönende Stimme des Meisters, fühle den „Läufer“ unter meinen Händen, rieche das Leinöl und spüre den Geschmack von Essig auf der Zunge, mit dem ich das Bleiweiß angesetzt habe.
Meine Hand ist erschöpft, aber sie zittert nicht. Sie ist fast so ruhig wie damals, als ich die Münzen aus dem Verkauf meines ersten Bildes zwischen den Fingern spürte und darin das Fundament für eine glanzvolle Zukunft sah. Was ich jedoch nicht sehen konnte, war der Pfad, auf den das Schicksal mich führen sollte.
Morgen, am Tag des Herrn, werde ich mich ausruhen. Danach will ich ein neues Heft zur Hand nehmen und meine Geschichte zu Ende bringen.
DRITTES HEFT
1. Oktober 1669
„Ein Mann will Euch sprechen, Mijnheer, ein gewisser Bredenrock oder so ähnlich“, keuchte Rebekka. „Er sagt, er sei Händler und wolle sich Eure Bilder anschauen. Wenn Ihr mich fragt, das ist einer, mit dem ist nicht gut Kirschen essen.“ Das Treppensteigen ins Atelier hinauf hatte sie angestrengt, und sie stemmte die Hände in die schmerzenden Hüften. Schon den ganzen Morgen über war sie schlecht gelaunt gewesen.
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