Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
vergeblich bemüht. Denn meinen Meister würde ich niemals hintergehen.
2. Oktober 1669
Mit Regen und Stürmen war der Herbst gekommen. Die Blätter der Lindenbäume, die die Rozengracht säumten, fielen auf die Wasseroberfläche und trieben in wirbelnden Kreisen davon. Der Meister hatte eine Menge Schwarz für die Kleider der Doctores verbraucht und benötigte neues Elfenbein sowie Bleiweiß für die letzten Glanzlichter. Mit dem Auftrag, neue Farben zu kaufen, schickte er mich zur Apotheke. Sie lag in der Zandstraat, wo auch der portugiesische Händler mit dem Schnurrbart sein Geschäft hatte, bei dem der Meister seine Rahmen und Pinsel kaufte. Aus seiner Zeit in der Jodenbreestraat war er den Händlern in diesem Viertel treu geblieben.
Um nicht an dem Haus von Pieter Leyster vorbeigehen zu müssen, machte ich einen kleinen Umweg über die Bloemstraat. Als ich die Mitte der Brücke über der Prinsengracht erreicht hatte, blieb ich einen Augenblick stehen und schaute auf den Kanal. Frachtkähne lagen vor den eleganten Kaufmannshäusern. Von den überspringenden Giebeln wurden Lasthaken heruntergelassen, mit denen Teppichrollen, Kisten und Fässer von Bord geholt oder an Bord befördert wurden. Schuten fuhren vorbei, voll beladen mit Kohlköpfen, Blumen, Baumstämmen und Mehlsäcken.
Ein Leichenzug marschierte an mir vorbei. Er war vermutlich auf dem Weg zur Westerkerk. Hinter dem Sarg mit sechs Trägern schritten langsam die Trauernden nebeneinander her, immer zu zweit. Sie trugen lange schwarze Mäntel. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Mir fiel ein, dass dies vielleicht ein böses Vorzeichen sein könnte und ging schnell weiter.
Schon von weitem konnte ich das Ladenschild mit dem Krokodil über der Eingangstür sehen. Der Apotheker war Frans Goltzius, der Vetter des Pastors aus Muiderkamp. Er sah diesem zum Verwechseln ähnlich und schien überrascht, dass der Meister nicht persönlich gekommen war. Die beiden Männer kannten sich gut und pflegten nach dem Geschäftlichen meist noch bei einem Gläschen Holunderbeerschnaps miteinander zu plaudern. So hatte es mir der Meister einmal anvertraut und war augenzwinkernd mitten im Satz verstummt, weil Rebekka in diesem Moment an die Tür zum Atelier geklopft hatte.
“Dann bist du also der Schneidergeselle aus Muiderkamp, dem mein Vetter Jan eine große Zukunft als Maler voraussagt?“, begrüßte mich der Apotheker.
“Mein Name ist Samuel Bol, Mijnheer Goltzius. Der Meister lässt Euch herzlich grüßen, aber er ist im Augenblick sehr mit seinem Auftrag beschäftigt. Ich soll Blei, Roterde und afrikanisches Elfenbein besorgen. Dasselbe, das er auch schon beim letzten Mal gekauft hat.“
„Ja, ich weiß Bescheid, Samuel. Meister Rembrandt kauft immer nur allererste Qualität. Deswegen kommt er auch zu mir. Bei mir gibt es die besten Pigmente in der ganzen Stadt.“
Er kletterte auf eine Leiter, die an einem dunkelbraunen Holzregal lehnte. Es reichte vom Boden bis zur Decke und war voll mit Flaschen, Schalen und irdenen Gefäßen der verschiedensten Art, alle sorgsam beschriftet. In der Luft hing ein Geruch, der mich vage an vermoderndes Moos im Wald erinnerte. Dieser Geruch überlagerte einen anderen, mir sehr vertrauten, den ich erst jetzt bestimmen konnte - Leinöl.
Frans Goltzius stieg die Leiter wieder herunter und stellte drei bräunliche Tiegel auf die Ladentheke.
„Wie gefällt es dir bei Meister Rembrandt, mein Junge? Wie lange bist du schon bei ihm? Er soll ein guter Lehrer sein, heißt es. Machst du auch tüchtige Fortschritte?“
Ich erzählte dem Apotheker von meiner Zeit in der Rozengracht und dass ich wohl keinen besseren Lehrer hätte finden können. Mit einigem Stolz fügte ich hinzu, dass ich in wenigen Wochen mein zweites Lehrjahr beginnen würde.
„Das freut mich zu hören, Samuel. Dann haben sich die Dinge für dich also günstig entwickelt. Ich bin gespannt, wie die Öffentlichkeit auf das neue Gruppenbildnis reagieren wird, von dem mir dein Lehrer berichtet hat. Es gibt niemanden in ganz Holland, der es in der Menschendarstellung mit ihm aufnehmen könnte.“
Ich packte die Tiegel in den Weidenkorb, den Rebekka sonst für ihre Einkäufe benutzte.
„Grüße den Meister von mir und richte ihm aus, ich würde alles anschreiben. Und beim nächsten Mal soll er mir sagen, wie er mit der Lieferung von Krappwurzeln zufrieden gewesen ist. Ich habe übrigens auch wieder frischen Holunderbeerschnaps angesetzt.“
Draußen hatte der Wind
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