Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
aufgefrischt. Ich knöpfte meinen Rock bis obenhin zu, zog meine Kappe tiefer über die Ohren und machte mich auf den Heimweg. Vor dem Stadhuis spielte sich, wie an jedem Wochentag, das eigentliche Leben der Bewohner Amsterdams ab. Ein paar Leute standen vor den vergitterten Fenstern und schauten in das Innere des Gebäudes. Ich wollte wissen, was es zu bestaunen gäbe und stellte mich dazu. Ratsherren hatten sich an einem Tisch versammelt und redeten lebhaft miteinander. Ein Amtsdiener schrieb das Gesagte eifrig mit. In einer Ecke sah ich einen Mann mit gesenktem Kopf und zusammengebundenen Händen. Er wurde von zwei weiteren Dienstmännern bewacht.
„Das ist doch alles nur Augenwischerei. Was nutzt es, wenn das Volk den Richtern auf die Finger schauen kann, hä? Es kann trotzdem nicht hören, ob sie tatsächlich Recht sprechen“, empörte sich eine alte Frau, und ein paar Umstehende pflichten ihr bei.
„Die da drinnen sind doch nichts als reiche Maulhelden, die sich einen Dreck um das Wohl der armen Leute scheren. Die wollen bloß schnell ein Urteil sprechen, damit sie rechtzeitig ins Wirtshaus kommen und ihren fetten Braten kriegen“, schimpfte eine andere, jüngere und zog verächtlich die Mundwinkel nach unten.
Inmitten des Gewühls stand ein kahl geschorener Mann in einem weißen, bodenlangen Büßergewand auf einem Holzkarren und redete laut und eindringlich den Leuten ins Gewissen. Blicke und Hände hatte er zum Himmel erhoben. Einige Männer und Frauen waren stehen geblieben und lauschten andächtig seinen Worten.
„Oh vanitas vanitatum. Eitelkeit ist der Untergang der Menschheit. Es wird der Tag kommen, da werdet ihr Rechenschaft ablegen vor dem Allmächtigen und für all das zur Verantwortung gezogen werden, was ihr in euren Leben Böses getan habt. Denn wisset, der Teufel ist allgegenwärtig. Er kommt einher in Gestalt einer schönen Frau, er verhärtet die Herzen der Menschen, deren Götze das Geld ist und die sich in Völlerei, Prasserei und Hurerei ergehen.“
Einige Kinder hüpften um den Prediger herum und schnitten Grimassen, die ihn von seinen Worten ablenken sollten. Sie streckten ihm die Zunge heraus formten mit Zeigefinger und Daumen der einen Hand einen Kreis, in den sie den Zeigefinger der anderen Hand steckten. Einige Erwachsene erhoben drohend die Hand und scheuchten sie weg.
Ungeachtet dieses Zwischenfalls fuhr der Mann mit seiner Predigt fort und legte zusätzliche Dramatik in seine Stimme und Gestik.
„Das Böse sitzt in euren Gallen, in euren ruchlosen Händen, in euren tauben Ohren. Bald schon werden die Verfluchten eingehen in das ewige Feuer, das der Teufel ihnen bereitet hat. Darum sage ich euch: Lasset ab von dem Bösen und widersteht der Versuchung.“
Im Weitergehen bemerkte ich, wie die Kinder sich erneut anschlichen und ihr boshaftes Treiben fortsetzten. Ich überlegte, ob mir wohl noch Zeit für einen Abstecher in die Westerkerk blieb, denn ich liebte die Harmonien und Choräle der Orgel, die um diese Tageszeit immer zu hören waren.
Vor mir auf dem Weg spazierte ein hoch gewachsener, schlanker Mann im pelzbesetzten Umhang einher. Es musste sich um eine Persönlichkeit von Rang und Stand handeln, denn die Leute, die ihm entgegenkamen, machten ehrerbietig Platz. Die Männer zogen den Hut und verbeugten sich. In gebührendem Abstand folgte ich dem Mann, weil ich wissen wollte, wie jemand, dem so viel Achtung entgegengebracht wurde, von vorne aussah.
Da spürte ich unter meiner Schuhsohle etwas, das weich und fest zugleich war. Ich bückte mich und hob es auf. Es war ein sandfarbener Geldbeutel aus feinstem Leder, nachgiebig und geschmeidig wie ein Stück Samt. Sicher war er aus Kalbsleder, wenn nicht sogar aus Rehleder. Nur ein einziges Mal zuvor hatte ich in der Werkstatt meines Onkels ein so edles Leder in den Händen gehalten. Einer der reichen Kaufleute, die im Gasthof „Het Gouden Anker“ eingekehrten, hatte uns seinen Handschuh gebracht mit einem winzigen Loch, das mein Onkel mit größter Sorgfalt flickte.
Der Geldbeutel roch nach türkischem Rosenwasser, wie es die Reichen verwendeten, um den strengen Geruch des gegerbten Leders zu verdecken. Dieses exquisite Täschchen war ein Musterbeispiel feinster Näharbeit, das Garn hatte denselben Farbton wie das Leder, jeder Stich saß genau in Linie und hatte die richtige Länge. In der Mitte prangte ein Wappen mit den beiden ineinander verschlungen Buchstaben A und R.
Während ich dieses kleine Kunstwerk in
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