Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Finger auf mich zukam. Und gleich darauf hatten diese Männer die Verfolgung aufgenommen. Ob mich wohl irgendeiner von ihnen auf der Straße wiedererkennen würde? Aber viele junge Männer sahen aus wie ich, trugen dieselbe Kleidung, hatten dieselbe Größe und Figur. Außerdem war es schon fast dunkel gewesen.
Noch lange lag ich wach und konnte keinen Schlaf finden. Um zehn Uhr hörte ich den Trommelappell und das laute Stiefelschlagen der Schutzmänner. Erst als diese sich wieder entfernten und das Geräusch in der Ferne verhallte, fielen mir die Augen zu. In dieser Nacht schlief ich tief, fest und traumlos.
3. Oktober 1669
Am nächsten Morgen wachte ich ausgeruht und voller Zuversicht auf. Mit einem Mal schienen mir die Ereignisse des gestrigen Tages unbedeutend. Warum sollte ich mir Gedanken machen? Der Beutel mit den Münzen befand sich an einem sicheren Ort. Die Summe, so viel wie ein Malerschüler für ein Vierteljahr Lehre zahlen musste, würde einen reichen Mann nicht arm machen. Und sollte ich eines Tages den Besitzer herausfinden, würde ich ihm das ganze Geld umgehend auf eine unverdächtige Weise wieder zukommen lassen. Was Pieter Leyster betraf, so war er ein Mann, der gerne viel redete und sich selbst überaus wichtig nahm. Was konnte er mir schon anhaben? Ich stand unter dem Schutz meines Meisters und brauchte mich vor nichts und niemandem zu fürchten.
Der Meister hatte einen Brief von Anna Huijbrecht erhalten, Magdalenas Mutter, den sie von einer Nachbarin hatte schreiben lassen. Ihre Tochter sei sehr schwach und könne sich nur unter großen Mühen um die kleine Titia kümmern. Sie selbst sei ebenfalls kränklich und könne aus diesem Grund ihrer Tochter nicht zur Seite stehen. Ob der Meister vielleicht Cornelia für einen Tag zu ihnen schicken könne, damit Magdalena ein wenig Abwechslung hätte.
„Wie schrecklich. Ich will gleich heute zu ihnen gehen und sehen, was ich für die drei tun kann“, entschied Cornelia und zog sich mit Rebekka in die Küche zurück, um ein paar Leckereien einzupacken.
„Samuel könnte dich doch begleiten, vier Hände schaffen mehr als zwei“, meinte der Meister und kam meiner Frage zuvor. „Nein, heute brauche ich keine Hilfe im Atelier. Es sind noch genügend Farbvorräte da.“
Mein Herz schlug schneller. Was für eine verlockende Vorstellung, wieder einmal alleine mit Cornelia unterwegs zu sein! Einen winzigen Moment dachte ich daran, dass mich vielleicht einer meiner Verfolger von mich gestern wiedererkennen würde. Doch sofort schob ich diesen Gedanken beiseite. Alles war so blitzschnell gegangen. Außerdem besaß ich noch eine zweite Kappe, eine aus rotem Filz, die ich mir einmal selbst genäht hatte und einen Schal in derselben Farbe. Wenn mich damit jemand in Begleitung Cornelias sehen würde, würde er mich wohl kaum mit dem vermeintlichen Dieb vom Vortag in Verbindung bringen.
Im Gleichschritt gingen wir nebeneinander her. Mit Erstaunen, aber auch mit einem gewissen Wohlgefallen stellte ich fest, wie vertraut mir Cornelias Gang inzwischen geworden war. Sie lächelte mir von der Seite zu und schien heute ganz arglos zu sein, ohne Lust auf irgendwelche Neckereien, wie sonst so häufig. Sie nahm meine Hand, die unter dem sanften Druck zu kribbeln begann.
„Magdalena und Titia bedeuten mir viel. Außer Vater sind sie die einzigen Verwandten, die mir noch geblieben sind. Da hast du es besser, Samuel, du hast jedenfalls eine große Familie.“
Nachdenklich hielt ich ihre Hand. Cornelia hatte Recht. Außer meinen Eltern hatte ich noch meine Geschwister, weiterhin fünf Onkel, sechs Tanten und viele Vettern und Cousinen. Am schönsten war es, wenn wir alle zu Taufen oder Hochzeiten zusammenkamen und gemeinsam feierten. Auch wenn es manchmal Prügeleien unter den Kindern oder Unstimmigkeiten zwischen den Erwachsenen gab. Besonders dann, wenn sie schon mehrere Gläser Branntwein oder Schnaps getrunken hatten. Ein Leben ohne meine Familie konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen.
Das letzte Mal hatte ich Magdalena beim Geburtstag des Meisters gesehen. Sie war inzwischen noch zarter und zerbrechlicher geworden. Glücklicherweise schien Titia, die jetzt ein halbes Jahr alt war, ein kräftiges und fröhliches Kind zu sein.
„Ich bin so froh, dass ihr gekommen seid“, sagte Magdalena, umarmte Cornelia herzlich und drückte meine Hand.
„Entschuldigt, dass es hier nicht ordentlich aussieht. Seit zwei Wochen quäle ich mich mit Schwindelanfällen. Ich
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