Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
fragte Tuija leise. Sie schlug die Heckklappe des Audi zu und drehte sich um. Ein fordernder Blick lag in ihren Augen. Die ungleichmäßig geschnittenen, blonden Haare berührten ihre breiten Schultern.
»Na klar untersucht die Polizei die Scheune gründlich«, entgegnete Tomi ebenso leise und selbstsicher. »Dann finden sie heraus, dass dort ein Tier zerlegt worden ist. Aber da werden schließlich auch immer wieder welche mit Genehmigung zerhackt.«
»Die Polizei glaubt bestimmt nicht, dass der Mörder in der Scheune kampiert hat«, sagte Launo.
Karri und Tomi sahen sich überrascht an: Launo sprach zu Tuija. Normalerweise behandelten sich die beiden gegenseitig wie Luft. Einmal hatte Tomi versucht herauszubekommen, was sie entzweit hatte, aber Launo war der Frage ausgewichen.
»Und wer könnte der Mörder gewesen sein?«, fragte Tuija kalt.
Karri fühlte sich unwohl. Wie Launo und Tomi schien auch Tuija den Mord an Erja Yli-Honkila seltsam kühl hinzunehmen. Was waren das eigentlich für Menschen? Oder hielten sie nur ihre Gefühle bedeckt, wie es in diesem Landstrich üblich war?
Wobei Tomis erste Erschütterung allerdings sehr heftig ausgefallen war, das war Karri trotz seines eigenen Schocks aufgefallen. Das sollte einer verstehen.
»Ich kann mir schon vorstellen, warum jemand so eine wie die umbringen wollte«, flüsterte Tuija, »aber ich verstehe nicht, wer dazu tatsächlich fähig gewesen sein sollte.«
Karri schauderte. »Warum hätte jemand Erja etwas antun sollen? Hast du sie denn überhaupt gekannt?«
»Gut genug. Wenn auch nicht so gut wie deine Saara.«
Freundlich, aber energisch winkte Tuija ihrem Mann, der etwas abseits stand. Darauf setzte sich der gebürtige Libanese Rafiq Karam gehorsam auf den Beifahrersitz, wobei die schwere Goldkette an seinem Handgelenk klimperte. Der Mann mit dem dunklen Schnurrbart und den dunklen Augen war fünf Jahre jünger als seine Frau, einen Kopf kleiner als sie und immer adrett und modisch gekleidet. Er besaß ein Restaurant in der Ortsmitte, am Marktplatz. Dort bereitete er auch Wildgerichte zu, vor allem für Touristen.
Tuija setzte sich ans Steuer. »Müssen wir etwas dafür bezahlen?«, fragte sie bei offener Tür und mit einer Kopfbewegung zum Kofferraum.
Tomi warf einen Blick auf Launo und Karri und sagte, ohne deren Kommentare abzuwarten: »Nein. Diesmal nicht.«
Tuija zog die Tür zu, startete den Motor und fuhr in Richtung Pudasjärvi davon. Die Reifenspuren des Audi blieben im Schnee zurück wie eine Tätowierung.
»Bringt mich zu meinem Wagen«, sagte Karri ungeduldig.
»Nur keine Hektik. Alles zu seiner Zeit«, sagte Tomi unangenehm ruhig. Karri merkte, wie Launos Mundwinkel sich zu einem schwachen Grinsen verzogen. Die beiden wurden Karri von Minute zu Minute unsympathischer, und er bereute bereits, der Polizei nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Aber dann wären die Waffen an den Staat gefallen, sie hätten Bußgelder aufgebrummt bekommen und einen Eintrag ins Strafregister kassiert. Und daran war auch Karri nicht sonderlich gelegen.
Die Männer stiegen in den Geländewagen. Karri musste an Tuijas unverhohlene Abneigung gegenüber Erja denken. Was er wusste, war lediglich, dass Tuija nie in religiösen Kreisen verkehrte.
»Wirst du deiner Frau das mit Yli-Honkila erzählen?«, fragte Tomi, als er den Motor anließ.
»Natürlich. Sie sind … sie waren … befreundet. Vor allem früher.«
»Aber von dem Elchkalb wirst du deiner Frau kein Wort sagen.« Das war mehr eine Feststellung als eine Frage von Launo, der in seinen Taschen nach Zigaretten suchte.
Im schwachen Lichtschein sah Karri dessen abweisenden Gesichtsausdruck, und die Härte darin ärgerte ihn. Es war, als sähe er Tomis Unfreundlichkeit und Kälte in potenzierter Form vor sich. Als würde Tomi die Fäden ziehen und Launo tanzen lassen wie eine Marionette.
»Ich weiß selbst, was ich Saara erzähle und was nicht.«
»Hoffentlich weißt du es«, sagte Tomi. »Die Frömmler können die Polizei nämlich nicht anlügen.«
»Saara gehört nicht zu den Laestadianern. Sie ist Theologin, spezialisiert auf Exegese, also auf die Auslegung der Bibel …«
»Die kann man auslegen, wie man will«, warf Launo zwischen zwei Zügen an seiner Zigarette ein. »Hör zu, Tomi, wenn jemand weiß, wie man lügt, dann die Laestadianer. Es ist nämlich so, dass die Kinder Gottes hier nur zu ihrem Gott die Wahrheit sagen. Ansonsten verbreiten sie die tollsten Gerüchte, sogar übereinander.
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