RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
weist die eine nach links, die andere nach rechts.
„Nein! Bitte! “, schreit diejenige, der man weiterzule ben er laub t hat, und fällt auf die Knie. „ La ss t mich mit meiner Schwester gehen“ , fleht sie den Offizier an, darauf bedacht, ihn ja nicht anzufassen. Sie kauert neben seinen schwarzglänzenden Stiefeln und weint um Gnade.
Er streckt die Hand aus. Sie folgt ihrer Schwester. Hand in Hand gehen sie auf die Pritschenwagen zu.
Ich drücke Dankas Hand ein letztes M al, ehe ich vor die tre te, die beurte ilen, ob ich geeignet oder nicht geeignet bin. Wenn wir diese Selektion nicht bestehen, mag das Morgen für uns bedeutungslos sein - und wenn wir sie bestehen? Das Morgen darf für uns keine Bedeutung haben.
Ich halte den Atem an. Der Daumen zeigt, da ss ich leben soll. Zögernd und vorsichtig gehe ich weiter und warte auf meine Schwester...
Der Daumen bestimmt, da ss Danka mir folgen soll. Ich hole Luft.
Als ich einen letzten Blick auf die Schwestern wer fe, wün sche ich mir plötzlich, ich hätte sie kennenge lernt, ihre Na men, alles über sie. Doch ich wei ss nur, da ss sie vor mir dran waren, als wir an unserem zwei ten Tag im Lager tät owiert wurden. Wahrscheinlich haben sie die Nummern 1001 und 1002. Ich schaue auf meinen linken Ellbogen. Die grau-blaue Tinte flammt zu mir hoch. 1716. Ihre Nummern waren nied ri ger als meine. Seit wir nach Birkenau gekommen sind, habe ich nicht mehr viele Nummern gesehen, die niedriger waren als meine. Ich frage mich, wie viele vom ersten Transport noch übrig sein mögen.
Sie schieben und hieven die Mädchen, die in die andere Richtung geschickt worden sind, hoch auf die Pritschenwagen. Diese gefürchteten Lastwagen habe ich seit meinem Ank unfts tag nicht mehr gesehen. Danka wird bla ss , als ihr das Blut aus den Wangen weicht. Starr vor Entsetzen sieht sie zu, wie die Mädchen eine nach der anderen hochklette rn und die SS sie mit Reitgerten antreibt. Rinder und Schafe werden mit mehr Respekt behandelt. Ich nehme sie bei der Hand und versuche sie von dem, was sich drüben abspielt, wegzuziehen, schaudere aber zurück, als ich ihre feuchte Haut spüre.
„ Komm weiter, Danka. Wir können ihnen nicht hel fen.“
„Wohin bringt man sie?“
„ Ich wei ss es nicht, aber es kann nichts Gutes sein. Sie machen mit ihnen das, was sie auch mit den Leuten am Bahnsteig gemacht haben.“ Ihre Augen werden glasig. Die Sonne ist hin ter dem Horizont verschwunden. Ich kann e s nicht fassen, da ss wir einen ganzen Tag damit zugebracht haben, auf selbster nannte Gött er zu warten, damit diese entscheiden, ob wir fit genug sind, um weiterleben zu dürfen. An diesem Abend sind weniger Mädchen in unserem Block. Wir fragen nicht, wohin sie gegangen sind.
Am Morgen darauf stellen wir uns zum Anwesenheits appell auf, doch wir werden nicht gezählt. In ordentlichen Reihen warten wir. Im Dunkeln. Im Morgenlicht. In der Mittagsson ne. Wir warten. Die Reihe bewegt sich. Es gibt keine Mittags pause, keine Unterb rechung des Stehens und Wartens.
Wieder w erden wir „selektiert“ .
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Wieder eine Selektion. [11]
Eines Abends bekommen Da nka und ich und ein paar andere von der Blockältesten Päckchen vom Roten Kreuz ausgehän di gt. Wir starren auf diese Pakete und können sie mit diesem Ort hier nicht in Einklang brin gen. Es stehen sogar unsere Na men auf dem braunen Papier: Rena Kornreich und Danka Kornreich. Die Briefmarke ist aus der Schweiz. Ich starre sie eine Ewigkeit an. Sie ist bunt und verziert und bestätigt, da ss es eine Welt jenseits der uns umgebenden elektrischen Zäune und Stacheldrähte gibt. Es beweist, da ss irgendwer sich irgendwo darum kümmert, ob wir leben oder sterben.
Wir rei ss en das Packpapier und die Schachteln auf, als öff neten wir Geschenke unserer Fam il ie. Es gibt eine Dose Sardinen, ein Päckchen Cracker und sü ss en Bis kuit. Langsam ziehen wir den Deck el von den Sardinen. Sie sind so salzig. Da wir seit sechs Monaten nichts Gewürztes mehr gekostet haben, kommt es uns vor; ab hätten wir ein ganzes Vorspeisenbuffet im Mund. Wir tauchen unsere Finger ins Öl und lecken sie langsam ab, um l ange etwas davon zu haben, doch s elbst wenn wir die ganze Nacht daran lecken könnten, wäre es nicht genug. Die Cracker und Biskuits verstau en wir in unse ren Taschen, um sie für morgen aufzuheben.
An diesem Tag fühle ich mich kräftige r , genie ss e die Cracker s mittags zu unserer Suppe
Weitere Kostenlose Bücher