RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
und hebe die Biskuits für das Abendessen auf. A ls sie uns auf der Zunge zergehen, tau chen unsere Sinne in eine andere Welt, werden mit dem Ver langen nach mehr zurückgelas sen. Seit wir im Lager sind, ha ben wir keinen Zucker mehr zu uns genommen; er rast durch unseren Körper und ist weg. Wir sind dankbar für diese drei halben Mahlzeiten, aber am nächsten Tag knurrt und schmerzt der Magen und verlangt nach mehr, doch es gibt nichts mehr au ss er Brot, Tee und Suppe.
„ Wirst d u dir heute wieder Suppe holen?“, frage ich in der Hoffnung, da ss das Care-Paket Dankas Appetit gesteigert hat. Sie schüttelt den Kopf. Ich behandle sie so sanft wie möglich, aber wenn sie nicht anfängt, mehr zu essen und sich wieder für ihre Suppe anstellt, wer den wir beide zum Muselmann wer d en, und das ist unwiderruflich. [12] Sind wir erst einmal ausge zehrt, machen wir es auch nicht mehr lange. Immer wieder rede ich auf sie ein, sich selbst ihre Suppe zu holen, aber ihr Geist schwindet vor meinen Augen. Wie bekomme ich meine Schwester dazu, leben zu wollen? Ohne diesen Wunsch können wir unmöglich überleben, und ich brauche sie genau so sehr wie sie mich braucht.
Wenn wir zur Arbeit hinausmarschieren und. abends zurückkehren, spielt jetzt ein Orchester, und von uns wird er wartet, da ss wir im Takt der Musik marschie ren. [13] Das steht in krassem Widerspruch zu allem, was wir sonst tun, ist ein Schlag ins Gesicht unserer no ch verbliebenen Würde. Ich glau be, den Deutschen gefällt daran vor allem, da ss es uns auf der Leiter des Lebens noch eine Sprosse tiefer wirft. Die Musikerinnen haben es besser als wir, aber wir mi ss gönnen keinem sein Glück, nicht im Freien arbeiten zu müssen. Au ss erdem müssen sie bei jedem Wetter spielen, und auch sie können wie alle anderen selektiert werden, wenn sie krank werden oder schlecht aussehen. Soviel besser haben sie es gar nicht. Wir sind alle Sklaven. Die einzige Möglichkeit, dem sicheren Tod zu entgehen, ist es, drinnen zu arb eiten, aber selbst das hilft ei nem nicht, dem Tod für immer zu entkommen.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus! Schnell!“
Wir steigen von unseren eiskalten, harten Holzbetten. Es fällt schwer, sich zu bewegen. Wir sind steif und erschöpft. Sämtliche Gelenke und Bänder knacken. Es friert. Bei diesen Minustemperaturen dampft der Tee nicht mehr. Selbst die SS, sonst in allem so pünktlich, lä ss t sich Zeit, bis sie ins Lager kommt und unsere zitternden Körper zählt. Es ist der erste Frost in diesem Herbst, und unsere Körper sind noch nicht an die eisige Luft gewöhnt.
Meine Gedanken sind so träge wie das Blut in meinen Adern. Ein momentanes Nachlassen der Aufmerksamkeit, eine kurze Pause, als wir aus den hinteren Reihen über den Hof zu unserer Einheit gehen, und Danka und ich sind zu spät dran für Emmas Gruppe.
„ Ich bin voll«, sagt sie uns. Ein SS-Posten winkt ihr, loszu marschieren. Sie zuckt die Schultern; sie kann nichts ändern. Wir stehen da und sehen verloren der Aufseherin hinterher, die wir zu unserer Wächterin erkoren haben, aber ihr Kommando - unser Kommando - marschiert hinaus, lä ss t uns zurück. Schaudernd wende ich mich um, meine Schwester im Schlepptau, und hoffe, da ss in Erikas Gruppe noch etwas frei ist.
„ Antreten! “ Eine Peitsche zischt über meine Schulterblätter, als wir auf dem Weg zu Erikas Gruppe umgeleitet und in die Reihen eines anderen Kommandos gepfercht werden. Eine Aufseherin hat uns geschnappt, um ihre Gruppe aufzufüllen, und so stellen wir uns hinter dieser Fremden auf und gehen los zur Arbeit. Ihre Augen sind hell und grausam. Ihr Gesicht ist hart. Sie verkörpert alles, was wir meiden wollten. Ihr Dreieck ist grün. Diese Aufseherin ist eine Mörderin. Die Anspannung in unseren Reihen ist zum Greifen. Wir marschieren im perfekten Gleichschritt.
„ Wi r müssen vorsichtig sein“, warne ich Danka im al lerleisesten Flüsterton. „Sehr vorsichtig.“
Es ist ein endloser Tag. Diese Aufseherin genie ss t es, Fehler zu entdecken und uns brutal dafür zu stra fen. Sie hat eine Na se für die Schwachen und Kranken, und d iese werden gnaden los von ihr gequält, bis sie zusammenbrechen und sie sie mit einem raschen Tritt erledigen kann. Bis zum Mittagessen hat sie drei Gefangene getötet. Sie ist im Töten so geschickt wie SS Taube. Beim Essen bekommt jeder nur einen Spritzer Brühe; das reicht kaum für ein paar Schlucke. Die Essensverteilung ist nicht geregelt. Es kümmert keinen,
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