RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
die Seite der Verdammten. Wehmütig blickt sie zurück. Unsere Augen besiegeln unser Schicksal über das Gelände hinweg. Nie werde ich ihren Namen erfahren.
Ich steige hoch zu den Tischen.
„Halt!“ Mir klopft das Herz bis zum Hals.
Ihre A ugen sind auf meinem Unterarm- Nummer 1716 vom ersten Transport. Sie k önnen nicht glauben, da ss ich im mer noch da bin. Wird mir das zum Vorteil gereichen? Oder wird es mein Untergang sein?
Der Daumen weist mich an, über die Grube zu springen.
Ich gehe an ihnen vorbei, Kinn hoch, Schultern gerade, auf die Grube zu. Es gibt keinen Anl auf, auf beiden Seiten ist gera de Platz für den Absprung und die Landung. Der Graben ist etwa einen Meter breit und einen Meter tief. Wer dort hinein fällt, wird vom regennassen Schlamm zugedeckt und hat seine letzte Lebenschance verwirkt.
Ich fliege hinüber und lande knapp, umarme die Wand auf der anderen Seite, um meiner Schwester genügend Platz für ih re Landung zu geben, doch ich ertrage es nicht, mich umzudrehen und zuzusehen. Sekunden der Ungewi ss heit ziehen sich über den Abgrund.
Ich warte, halte meinen Atem an und die Augen fest ge schlossen, lausche, umarme mit meinem ganzen Sein die Wand und wünsche mir; sie wäre meine Schwester. Ich stelle mir ein Band zwischen uns vor, das sie zu mir herüberzieht. Ich denke nicht, da ss sie in die Grube fallen könnte. Ich denke nur daran, da ss sie neben mir ist.
Stille... Zwei Hände gleiten um meine Taille und drücken mich ein wenig. Ich atme wieder, ic h halte ihre Hände an meinen Bauch und bete, sie nie wieder loslassen zu müssen. Wir sprechen nicht, wir freuen uns nicht, unser Sieg ist so unbedeutend an gesichts so vieler Fehlschläge. Endlich bricht die Sonne durch die Wolken. Sie ist bla ss und dünn, aber Danka und ich liegen im feuchten Gras und lassen uns wärmen, ausgebrannt von den Stunden quälenden Wartens. Unsere Hände berühren sich leicht, gerade so, um uns daran zu erinnern, da ss wir noch zu sammen sind.
Ich hole den Ring und den Elefanten aus meinem Mund - zwei Grabsteine, die unter meiner Zunge verborgen waren. Dies ist alles, was von ihrer Familie geblieben ist. Dieser Ring ist ihre in Gold und Erinnerung gehüllte Unsterb lichkeit. Laut los gelobe ich, ihn so lange ich lebe vor den Deutschen zu b e wahren. Wir stehen auf, als die Sonne sich am Horizont senkt Die Schatten werden länger. Noch stehen Hunderte, vielleicht Tausende in der Schlange und warten auf ihre Selektion.
Wir entfernen uns und wandern, unfähig zuzuschauen oder darüber nachzudenken, was heute passiert ist, benommen durchs leere Lager.
Keine wagt es mehr zu spre chen. Ein junges Mädchen i ss t ei ne Zitrone, während ihre Mutter sie um einen Bissen anbe ttelt . Die Augen des Mädchens starren die Mutter wütend an und sie schlingt das bereits ausggepre sst e Fruchtfleisch wie ein wildes Tier hinunter. Ihre Zähne gra ben sich in die blasse Schale , rei ss en sie auf. Ich wende mich entsetzt ab. Sie i ss t das g anze Ding, ohne mit ihrer Mama zu teilen.
Was haben sie aus uns gemacht? DasStück Kartoffel, das ich finde, tei le ic h sofort mit meiner Schwester - wie sonst sollten wir über leben, wenn wir uns nicht umeinander kümmern? Ich begreife diese Selbstsüchtigkeit nicht , aber wen kümmert es schon, was ich begreife.
Es ist spät abends. Wir stehen aut der anderen Seite , bis die letzte Frau in die Grube fällt. Wir werden nicht entlassen. Die letzten Lastwagen fahren ab zu den Gaskammern. Das Todeskommando entfer nt sich aus dem Lager, ohne uns wahr zu nehmen. Wir erwarten einen Befehl, aber zum ersten mal in an derthalb Jahren, wird uns nicht befohlen, etwas zu tun. Wir gehe n in unsere leeren Blöcke. Die Bl ock älteste ist nic ht hier; wir können nur mutma ss en, da ss sie unter den Tausenden wa r, die aussortiert wurden.
Brot wird verteilt. Unsere Mägen sind dankbar dafür, unse re Herzen nicht.
Soll ich beten? Soll ich Gott danken, da ss er unser Le ben wieder einmal gerettet hat? Wie kann ich einem Schöpfer danken oder ihn preisen, der solches zu l ä ss t? Fünfhundert oder tausend von uns sind noch im Lager. Am Leben zu sein ist kein Wunder - es ist eine Tragödie. Wie kann ich das Wunder prei sen, da ss Danka und ich leben, während Ta usende von unseren Mitgefangenen vergast und ver brannt weiden - ein paar hundert Meter von dort entfernt, wo wir leben?
Vier Uhr morgens.
„ Raus! Rau s!“
Wir nehm en unseren Tee und warten auf d en
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