RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Anwesenheitsappell. Heute wird er nicht einmal eine Stunde dauern. Unaufhörlich steigt Rauch aus den K a m inen. Ein grauer Schleier umhüllt Birkenau. Asche ist in der Luft, legt sich auf die Dächer der Blocks und auf den Boden , auf dem wir s te hen. Wir m ar schieren mit Emma hinaus, ar beiten den ganzen Tag und keh ren zurück. Der Abendapp el l dau ert ein bi ss chen länger; neue entsetzte Gesichter müssen zum Gehorsam verprügelt werden. Eine neue Schar jüdischer Mädchen , die nichts von geraden Reihen, schweigsamer Aufmerksamkeit und Gaskammern wissen. Die Transporte kommen … Die Deutschen waren sehr fleissig.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Das Lager ist voll.
Der Winter bricht über uns h erein, und so wie der Herbst un serem Zugriff entgleitet, schwindet auch die Hoffnung aufs Überleben. Jom Kippur is t vergangen, ohne da ss wir es be merkt hätten. Ein paar von den Neuen haben gefastet; wir wissen es besser. Wir stehen in der herein brechenden Dunkel heit zum Abendappell. Es fällt mir schwer, all den möglichen Gefahren gegenüber wachsam zu bleiben; die ständige Bewu ss theit, die mir so sehr geholfen hat, schwindet nach und nach vor Ermüdung. Ich fürchte, da ss Danka und ich mit dem Wintereinbruch bald in gro ss en Schwierigkeiten sein werden. Wie lange können wir so weitermachen? Eines Tages werden wir aus purer Erschöpfung umfallen oder wegen schlimmer Krankheit. Ich bin so hilflos. Unser Schicksal hängt allein von ihren Launen ab.
Mengele ist wieder hier. Er hatte schon andere Auftritte gehabt, aber aus irgendeinem Grund fällt er uns heute auf.
„ Danka “, flüstere ich, „ der Winter kommt, und im letzten Jahr haben ganz viele Frostbeulen bekommen. Wir haben die Schuhe und Socken von Erna und Fela, aber wie lange werden sie dem Schmutz und dem Schnee standhalten? Wie lange werden wir dieses harte Arbeiten durchhal ten?“
Danka wei ss , was ich frag en werde, ehe ich die Frage ausspreche. „ Bitte, Rena. Ein Spezialkommando h alte ich kein zweites Mal durch.“
„ Was kann ich schon tun? Ich hoffe nur, da ss man uns auswählt. Ich tue selbst gar nichts. “ Ich richte meinen Blick nach vorne, abe r mir brennt es auf der Zunge. „ Denk dar über nach“, flüstere ich. „ Wenn man uns auswählt, und es ist eine Arbeit drinnen, sollten wir sie annehmen. Wenn wir nicht unter ein Dach kommen, überleben wir diesen Winter ganz gewi ss nicht. Keiner kann so lange überleben, wir wir das hier schon getan haben. Wir brauchen eine gute Arbeit, mit einem Dach über dem Kopf. “ Ich streiche mir über die Haarstoppel und rücke die Streifen meines Kleides zurecht, da ss sie in gera den Linien fallen.
„Rena“ , zischt Danka mir zu. Sie wei ss , was ich tue. Ich mustere uns beide und nicke dann. Wir und zäh. Wir sehen immer noch ziemlich gut a us. Wir haben immer noch ein we nig Fleisch auf den Knochen, und aus irgendeinem Grun d ha be ich noch immer Brüste. Ich stehe da mit erhobenem Kinn, die Augen nach vorne gerichte t. Danka, die nicht ein zweites M al alleingelassen werden möchte, ahmt mich nach.
Seine Alabasterhaut und sein gl ä nzendes schwarzes Haar strahlen vor lauter Pflege. Seine graue Uniform wurde ordentlich gebügelt, und die Falte fällt schnurgerade an seinem Bein herab. Solche Dinge fallen mir auf. Er nähert sich unserer Reihe. Er wei ss nicht, wer wir s ind. Wir haben diesen einen Vor teil, wir sind anonyme Gesichter in der Masse. Wir haben un sere Anonymität genutzt, um unsichtbar zu sein und seinen Fängen zu entfliehen, jetzt m üssen wir hervorstechen. Irgend wie mu ss er sehen, da ss wir g ute Mädchen sind, sauber und or dentlich, diszipli niert; alles Qualitäten , die von den Deutschen bewundert werden, selbst bei Juden. Er hat uns während der Lagerselektionen oftmals für das Leben bestimmt. Nur einmal hat er uns für den Tod und für Experimente ausgesucht. Was wird es diesmal sein?
Wieder deutet Mengele auf mich. Kinn hoch, Augen nach vorne, Brust heraus, halte ich den Atem an und trete zögernd vor.
Er deutet auf Danka.
Ich atme aus. Wir stellen uns hinter den anderen Mädchen an, die er bereits ausgewählt hat. Dina ist in unseren Reihen; wir tauschen einen Blick. Geht es hier um Leben oder um Tod?
Mengele beendet seine Selektion und befiehlt einem SS- Mann, uns in die Quarantäne zu bringen. Wir marschieren zum Isolation sblock - wieder. In dem Moment , in dem wir den Block betreten, fährt mir der Schrecken in die
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