Renate Hoffmann
Sauberkeit legte. Die Tatsache, dass er aufgeräumt hatte, sollte ihr den Respekt zollen, den er für sie empfand.
Im Grunde war es lächerlich sich so darüber zu freuen, dass Henning seinen eigenen Dreck weggeräumt hatte, doch es war mehr als das. Es war seine Art sich bei ihr zu entschuldigen. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Nudeln und Gemüse und daneben eine kleine Schüssel mit Tomatensalat. Beides war mit Basilikum garniert.
Und in dem Moment, als Renate sich gerade umdrehen wollte, um nach Henning zu sehen, sprang er sie laut kreischend von hinten an, woraufhin Renate zusammenzuckte und reflexartig mit der Faust hinter sich schlug und Henning an der Oberlippe traf.
Gemeinsam saßen sie auf dem Sofa, Henning mit seinem Eisbeutel und Renate mit ihren Nudeln und dem Tomatensalat. Eng aneinander gekuschelt schauten sie einen Film, der fünfzehn Minuten zuvor angefangen hatte. Es war einer jener Momente, die ihnen nicht besonders erschienen, weil sie schon so viele solcher Augenblicke geteilt hatten, und doch war es ein besonderer Moment. Es war eine dieser ganz normalen Situationen gewesen, die eigentlich nicht normal waren, doch das würde Renate erst dann begreifen, wenn sie sie nicht mehr gemeinsam erleben könnten, weil Henning wenige Monate später ums Leben kommen würde.
Kapitel 96
Renate und Henning saßen gemeinsam am Esstisch. Der eiskalte Novemberwind fegte über die Straßen und tauchte den Tag in tristes Grau. Der Nieselregen peitschte gegen die Fensterscheiben. Renate wusste, dass es nichts bringen würde weiter mit Henning zu diskutieren. Sie hatte letzten Endes eingesehen, dass das die eine Sache war, in der sie sich niemals einig sein würden.
„Ach ja, hast du den Termin inzwischen bestätigt bekommen?“, fragte Henning und schaufelte eine weitere Portion Nudeln auf seinen Teller.
„Ja, heute Morgen“, sagte Renate und hielt ihm ihren Teller entgegen. „Hat alles geklappt...“
Henning lächelte. „Und am Wievielten fliegen wir?“
Renate nahm einen großen Schluck Wasser. „Am vierundzwanzigsten Mai“, antwortete sie strahlend.
Henning nahm sie in die Arme. Mit geschlossenen Augen roch sie an seinem Hals. Renate stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Henning zum Abschied. Ihre Lippen schienen sich ihre Liebe mit jedem Atemstoß zuzuflüstern. In diesem Moment wussten sie nicht, dass dies tatsächlich ein Abschiedskuss sein würde. Sie wussten nicht, dass Henning noch vor Einbruch der Dunkelheit ums Leben kommen würde. Sie wussten nicht, dass dieser Tag einen Schatten auf all das werfen würde, was in diesem Moment noch vollkommen war. Keinem der beiden war bewusst, wie fragil das Leben war. Hennings Körper würde brechen, und mit ihm Renates Herz.
Henning bückte sich nach seinem Sturzhelm. „Willst du nicht vielleicht doch lieber den Zug nehmen?“, fragte Renate und hielt ihn am Handgelenk fest.
„Nati, bitte fang nicht schon wieder damit an...“
„Und wenn ich es mir wünsche? Bitte, nimm doch den Zug.“
Henning küsste sie auf die Stirn. „Nati, ich passe schon auf mich auf...“
„Aber schau mal raus, es ist neblig und es regnet...“
Er nahm sie noch einmal kurz in die Arme, dann öffnete er die Tür. „Ich bin sowieso schon spät dran...“
Hätte Renate gewusst, dass dies ihr letztes Gespräch sein würde, hätte sie etwas Anderes gesagt. Sie hätte vermutlich auch etwas anderes gekocht, und sie hätte ihn länger geküsst. Doch sie hatte es nicht gewusst. Sie hatte geglaubt, dass es ein gewöhnlicher Novembertag werden würde.
Henning zwinkerte ihr zu, dann warf er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Sie hörte seine Schritte immer leiser werden.
Renate blätterte in ihrem Kalender. Am 23. Mai würden sie heiraten. Sie schaute auf den Ring an ihrem Finger, dann nahm sie einen Stift und übte ihre neue Unterschrift. Renate Hechter. Lächelnd betrachtete sie ihre ersten Versuche, dann legte sie den Kalender beiseite.
Es war gerade viertel nach fünf, als Renate mit vollen Einkaufstüten die Wohnung aufsperrte. Sie trat gegen die Tür und stellte die Taschen ab. Ihr Blick fiel auf das benutzte Geschirr. Seufzend rieb sie sich die Hände, in denen die Tüten tiefe Kerben hinterlassen hatten, dann bückte sie sich und schleppte sie in die Küche. Sie stellte gerade die Milch in den Kühleschrank als das Telefon klingelte. In dem Augenblick, als Renate der Kühlschranktür einen sanften Schubs gab, war alles noch in Ordnung. Und
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