Rendezvous im Hyde Park
hatte, er hatte ihn wieder verschlossen und weggeräumt. Nun war er wieder der leichtsinnige Charmeur, der Mann, den alle Frauen an ihrer Seite haben wollten.
Der Mann, mit dem alle Männer gern getauscht hätten. Und sie kannte noch nicht einmal seinen Namen.
Aber so war es wohl am besten. Irgendwann würde sie herausfinden, wer er war, er würde herausfinden, wer sie war, und dann würde er sie bemitleiden, das arme Mädchen, das gezwungen war, Lord Newbury zu heiraten. Vielleicht würde er sie auch verachten, weil er glaubte, sie würde es wegen des Geldes tun, was natürlich auch stimmte.
Sie zog die Beine an, kniete sich dabei nicht hin, sondern setzte sich auf die rechte Hüfte. Es war ihre Lieblingsposition, in London absolut inakzeptabel, aber zweifellos die Haltung, in der sie sich am wohlsten fühlte. Sie starrte vor sich hin, wurde sich bewusst, dass sie den Blick vom Haus abgewandt hielt. Irgendwie schien ihr das passend. Sie war sich nicht sicher, welche Richtung ein Kompass anzeigen würde. Sah sie nach Westen, in Richtung ihres Zuhauses?
Oder nach Osten, Richtung Kontinent, den sie noch nie betreten hatte und vermutlich auch nie betreten würde? Lord Newbury schien nicht der Typ, der gern reiste, und da sich sein Interesse an ihr auf ihre Gebärfreudigkeit beschränkte, bezweifelte sie, dass er ihr erlauben würde, ohne ihn zu fahren.
Sie hatte sich immer gewünscht, einmal nach Rom zu reisen. Wahrscheinlich wäre sie ohnehin nie hingefahren, auch nicht ohne einen Lord Newbury, der nach ihren breiten Hüften lechzte, aber es hätte immerhin die Möglichkeit dazu bestanden.
Beinahe kummervoll schloss sie kurz die Augen. In Gedanken betrachtete sie die Hochzeit schon als beschlossene Sache. Zwar sagte sie sich immer wieder, dass sie sich noch weigern könnte, aber da äußerte sich nur ein verzweifelter Winkel ihres Gehirns, der sich durchzusetzen versuchte. Ihr praktischer Verstand hatte die Eheschließung längst akzeptiert.
Da, jetzt hatte sie es gesagt. Sie würde Lord Newbury wirklich heiraten, wenn er um ihre Hand anhielt. So widerwärtig und entsetzlich es auch war, sie würde es tun.
Völlig niedergeschmettert seufzte sie auf. Für sie würde es kein Rom geben und keine Romanze, ganz zu schweigen von hundert anderen Dingen, an die sie nicht einmal denken mochte. Aber ihre Familie wäre versorgt, und wie ihre Großmutter schon gesagt hatte: Vielleicht würde Newbury ja bald sterben. Das war ein gemeiner, unmoralischer Gedanke, aber sie würde diese Ehe nicht eingehen können, ohne sich daran als letzten Strohhalm zu klammern.
„Sie wirken recht gedankenvoll", ertönte die warme Stimme neben ihr.
Annabel nickte langsam.
„Was hat Sie denn in diese ernste Stimmung versetzt?"
Sehnsüchtig lächelte sie. „Ach, ich war nur ein wenig in Gedanken."
„Sie denken an all die Dinge, die Sie tun müssen", riet er, nur dass es nicht wie eine Frage klang.
„Nein." Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann: „An all die Dinge, die ich nie tun werde."
„Verstehe." Er schwieg ebenfalls und sagte dann: „Tut mir leid."
Da drehte sie sich um, schüttelte die trüben Gedanken ab und sah ihn offen an. „Waren Sie je in Rom? Ich weiß, das ist eine verrückte Frage, wo ich doch nicht einmal Ihren Namen kenne und ihn auch gar nicht erfahren möchte, zumindest nicht heute Abend - aber waren Sie je in Rom?"
Er schüttelte den Kopf. „Sie?"
„Nein."
„Ich war in Paris", meinte er. „Und in Madrid."
„Sie waren Soldat", stellte sie fest. Was hätte er auch sonst sein sollen, wenn er diese Städte in dieser Zeit gesehen hatte?
Er zuckte, mit den Schultern. „Es ist nicht die ange-nehmste Weise, die Welt kennenzulernen, aber man be-kommt etwas zu sehen."
„So weit wie heute war ich noch nie von zu Hause entfernt", erklärte Annabel.
„Sie meinen hier?" Blinzelnd sah er sie an und deutete dann auf den Boden. „Auf dieser Heide?"
„Auf dieser Heide", bestätigte sie. „Ich glaube, Hampstead ist weiter von meinem Zuhause entfernt als London. Oder vielleicht auch nicht."
„Spielt es denn eine Rolle?"
„Ja, eigentlich schon", erwiderte sie und war selbst überrascht, denn es spielte ja offensichtlich keine Rolle. Und doch fühlte es sich so an, als sollte es das.
„Gegen eine derartige Gewissheit komme ich nicht an", murmelte er. In seiner Stimme lag ein Lächeln.
Sie musste ebenfalls grinsen. „Ich bin immer sehr froh, wenn ich mir einer Sache sicher sein kann."
„Wie
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