Rendezvous im Hyde Park
sie direkt geschwollen.
Jeder, der je geküsst worden war, würde wissen, dass sie nun geküsst worden war. Gründlich.
„Sie sollten sich lieber die Haare richten", meinte er und war sich dabei sicher, dass dies der unpassendste Kommentar war, den er je nach einem Kuss gemacht hatte. Aber irgendwie schien er sein übliches Flair verloren zu haben.
Charme und Stil verlangten offenbar nach Geistesgegenwärtigkeit. Wer hätte das gedacht?
„Oh", sagte sie und hob sofort die Hand, um ihr Haar zu glätten, allerdings ohne rechten Erfolg. „Tut mir leid."
Nicht dass sie einen Grund gehabt hätte, sich zu entschuldigen, doch Sebastian war viel zu sehr damit beschäftigt, seinen eigenen Verstand zusammenzukratzen, um ihr das zu sagen.
„Das hätte nicht passieren dürfen", sagte er schließlich.
Denn das entsprach der Wahrheit. Und er wusste es besser. Er tändelte nicht mit unschuldigen jungen Mädchen, vor allem nicht, wenn man ihm dabei aus einem proppenvollen Ballsaal quasi zusehen konnte.
Er verlor niemals die Kontrolle. Das war einfach nicht seine Art.
Erwar wütendauf sich. Geradezu fuchsteufelswild. Es war ein ungewohntes und durch und durch unangenehmes Gefühl. Mitleid kannte er, auch Selbstironie, und über leichten Ärger hätte er ein ganzes Buch schreiben können. Aber Zorn?
Dieses Gefühl sagte ihm ganz und gar nicht zu. Nicht wenn es sich gegen andere richtete, und schon gar nicht gegen sich selbst.
Wenn sie ihn nicht darum gebeten hätte ... wenn sie ihn nicht mit diesen riesigen, unergründlichen Augen angesehen und „Küss mich" geflüstert hätte, hätte er es nie getan. Es war eine verdammt armselige Ausrede, das wusste er, aber ein wenig tröstete es ihn doch, dass die Sache nicht von ihm ausgegangen war.
Ein wenig, aber nicht viel. Seine Sünden mochten zahllos sein, aber Lügen gehörte eigentlich nicht dazu.
„Tut mir leid, dass ich Sie darum gebeten habe", sagte sie steif.
Er kam sich wie ein Schuft vor. „Ich hätte der Bitte ja nicht nachkommen müssen", erwiderte er, aber nicht halb so gnädig, wie es die Höflichkeit verlangt hätte.
„Ich bin offenbar unwiderstehlich", brummte sie.
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. Denn sie war genau das. Sie hatte den Körper einer Göttin und das Lächeln einer Sirene. Selbst jetzt kostete es ihn alle Willenskraft, sich nicht auf sie zu stürzen. Sie zu Boden zu stoßen. Sie noch einmal zu küssen ... und noch einmal... Er schauderte. Das war nicht gut.
„ Sie sollten gehen", sagte sie.
Höflich streckte er den Arm aus. „Nach Ihnen."
Sie riss die Augen auf. „Ich gehe nicht als Erste dort hinein."
„Glauben Sie wirklich, dass ich zurückgehe und Sie allein auf der Heide zurücklasse?"
Sie stemmte die Hände in die Seiten. „Sie haben mich geküsst, und dabei kennen Sie nicht mal meinen Namen."
„Na, Sie haben doch dasselbe getan", gab er zurück.
Ihr Mund öffnete sich zu einem empörten Keuchen, worauf Sebastian eine schon alarmierende Befriedigimg verspürte, das letzte Wort behalten zu haben. Was noch beunruhigender war. Er genoss Wortgefechte, aber eigentlich sollten sie doch eher wie ein Tanz sein, nicht wie ein verdammter Wettbewerb.
Einen langen Augenblick versuchten sie einander nieder-zustarren. Sebastian war sich nicht recht sicher, ob er darauf wartete, dass sie mit ihrem Namen herausplatzte, oder eher darauf, dass sie von ihm verlangte, ihr den seinen zu offenbaren.
Er hatte den Verdacht, dass sie sich dasselbe fragte. Doch sie sagte nichts und funkelte ihn nur wütend an.
„Auch wenn mein jüngstes Benehmen nicht dafür spricht", sagte er dann, schließlich musste einer von beiden sich wie ein Erwachsener benehmen, und er hatte den dumpfen Verdacht, dass diese Aufgabe ihm zukam, „bin ich doch ein Gentleman.
Und als solcher kann ich Sie nicht guten Gewissens hier in der Wildnis zurücklassen."
Sie hob die Brauen und ließ den Blick im Kreis umherwandern. „Das nennen Sie eine Wildnis?"
Allmählich fragte er sich, was sie eigentlich an sich hatte, das ihn so verrückt machte. Denn wenn sie es darauf anlegte, konnte sie einem wirklich den letzten Nerv rauben.
„Ich bitte um Verzeihung", sagte er mit so viel weltmännischem Flair, dass er sich wieder ein wenig fühlte wie er selbst. „Ich habe mich offenbar getäuscht." Er lächelte sie ausdruckslos an.
„Und wenn dieses Paar immer noch ..." Sie hielt inne und wedelte mit der Hand Richtung seitlichem Gartenbereich.
Sebastian stieß entnervt
Weitere Kostenlose Bücher