Rendezvous im Hyde Park
Mädchen geküsst, lang bevor er wusste, dass man auch noch anderes mit ihnen anfangen konnte, und er hatte nie damit aufgehört. Als junger Bursche in Hampshire, als Soldat in Spanien, als Lebemann in London ... er hatte Frauen schon immer faszinierend gefunden. Und er erinnerte sich an alle. Wirklich. Er schätzte das schöne Geschlecht viel zu sehr und wollte nicht zulassen, dass seine Frauenge-schichten zu vagen Erinnerungen verschwammen.
Aber das hier war anders. Er würde nicht nur die Frau nicht vergessen, sondern vor allem auch diesen Augenblick.
Wie sie sich in seinen Armen anfühlte, ihren Geruch, wonach sie schmeckte, die Berührung und das wunderbare Geräusch, das sie von sich gab, als ihr Atem zu einem Stöhnen wurde.
Er würde sich an die Lufttemperatur erinnern, an die Windrichtung, das silberne Licht, das der Mond auf das Gras goss.
Sie leidenschaftlich zu küssen wagte er nicht. Sie war noch unschuldig. Zwar war sie klug, sie war nachdenklich, doch sie war auch unschuldig, und wenn sie in ihrem Leben öfter als zwei Mal geküsst worden war, würde er seinen Hut essen. Und so schenkte er ihr den ersten Kuss, von dem alle jungen Mädchen träumten. Zart. Sanft. Ein flüchtiges Streifen der Lippen, eine kurze Berührung, die Zunge eine verruchte Andeutung.
Und damit musste es sein Bewenden haben. Es gab Dinge, die ein Gentleman einfach nicht tun konnte, so zauberhaft der Augenblick auch sein mochte. Und deshalb entzog er sich ihr mit dem größten Bedauern.
Aber nur so weit, bis er seine Nasenspitze an ihre drücken konnte.
Er lächelte. Er war glücklich. Und dann sagte sie: „War das alles?"
Er erstarrte. „Wie bitte?"
„Ich dachte, es käme vielleicht noch mehr", sagte sie freundlich. In der Hauptsache klang sie verwirrt.
Er versuchte, nicht zu lachen. Das sollte er wirklich nicht tun, das wusste er. Sie wirkte so ernst, es wäre unglaublich beleidigend, sie auszulachen. Er presste die Lippen zusammen, versuchte das Gelächter zu unterdrücken, das ihm in die Kehle stieg.
„Es war nett", meinte sie und klang dabei fast, als wollte sie ihn beruhigen.
Er musste sich auf die Zunge beißen. Etwas anderes blieb ihm nicht mehr übrig.
„Schon gut", sagte sie und lächelte ihm aufmunternd zu, wie einem Kind, das nicht gut im Wettkampf ist.
Er öffnete den Mund, um ihren Namen zu sagen, erinnerte sich dann jedoch wieder daran, dass er ihn nicht kannte. Er hob eine Hand. Einen Finger, um genau zu sein. Eine ebenso schlichte wie direkte Anweisung. Halt, sagte diese Geste. Kein Wort mehr.
Fragend hob sie die Brauen.
„Das ist längst nicht alles", sagte er.
Sie wollte etwas erwidern.
Umgehend presste er ihr den eben erhobenen Finger auf den Mund. „Es kommt noch eine ganze Menge."
Und diesmal küsste er sie richtig. Er nahm ihre Lippen zwischen seine, erforschte sie, knabberte daran, verschlang sie. Dann legte er die Arme um sie, drückte sie an sich, fest, bis er ihre üppigen Kurven spüren konnte.
Und sie war üppig. Sie hatte einen runden, warmen Körper, mit weichen Rundungen, die nur danach flehten, gestreichelt und gedrückt zu werden. Bei einer Frau wie ihr konnte sich ein Mann verlieren, konnte allen Verstand, alle Vernunft fahren lassen.
Eine Frau wie sie würde ein Mann nicht mitten in der Nacht verlassen. Sie wäre warm und weich, Kissen und Decke, alles auf einmal.
Sie war eine Sirene. Eine herrlich exotische Verführerin und gleichzeitig vollkommen unschuldig. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihm anstellte. Zum Teufel, wahrscheinlich hatte sie auch keine Ahnung, was er tat. Und doch bedurfte es nicht mehr als eines ungekünstelten Lächelns, eines winzigen Seufzers, und er war verloren.
Er begehrte sie. Er wollte sie kennenlernen. Jeden Zoll.
Sein Blut kochte, sein Körper sang, und wenn er nicht plötzlich einen heiseren Ruf vom Haus her gehört hätte, hätte er Gott weiß getan.
Auch sie erstarrte, wandte den Kopf ein Stück nach rechts, um in die Richtung zu lauschen, aus der der Lärm gekommen war.
Dies reichte aus, um Sebastian wieder zu Sinnen kommen zu lassen, zumindest ein Stück weit. Er schob sie von sich, rauer als beabsichtigt, und stemmte schwer atmend die Hände in die Hüften.
„Es gab ja doch mehr", sagte sie. Sie klang benommen.
Er sah zu ihr hinüber. Ihre Frisur hatte sich zwar nicht direkt aufgelöst, doch ihr Haar saß weitaus lockerer als davor. Und ihre Lippen - er hatte sie vorher schon voll und üppig gefunden, doch nun wirkten
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