Rendezvous im Hyde Park
Gewissen?"
„Leider."
Das war eine Erleichterung. Er würde sie nicht in die Dunkelheit zerren, er würde sie nicht bedrängen, wie es Lord Newbury getan hatte. Trotzdem sollte sie zum Ball zurückkehren. Ob mit oder ohne Gewissen, er gehörte nicht zu der Sorte Gentlemen, mit denen eine junge, unverheiratete Dame allein sein sollte. Dessen war sie sich absolut sicher.
Dann dachte sie wieder an Lord Newbury, ein Gentleman, mit dem sie offenbar allein sein sollte.
Sie setzte sich zu ihm.
„Gute Entscheidung", meinte er beifällig.
„Nur für einen kleinen Moment", murmelte sie.
„Natürlich."
„Mit Ihnen hat das nichts zu tun", erklärte sie und kam sich dabei ein wenig frech vor. Aber sie wollte nicht, dass er glaubte, sie bliebe nur seinetwegen.
„Nein?"
„Da drüben." Mit einem Schwung des Handgelenks wies sie auf den seitlichen Teil des Parks. „Da sind ein Mann und eine Frau, die ..."
„Sich miteinander vergnügen?"
„Genau."
„Sodass Sie nicht über die Terrasse auf den Ball zurückkönnen. "
„Ich möchte wirklich lieber nicht stören."
Er nickte ihr mitfühlend zu. „Schwierige Situation."
„Sehr schwierig."
Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Ein Mann mit einem Mann wäre noch schwieriger, finde ich."
Annabel keuchte auf, empfand aber bei Weitem nicht so viel Entrüstung, wie es angebracht gewesen wäre. Dazu war sie viel zu sehr von seiner Nähe berauscht, und dem Umstand, dass sie an seinem Esprit teilhaben durfte.
„Oder zwei Frauen. Ich hätte allerdings nichts dagegen, bei ihnen Mäuschen zu spielen."
Sie wandte sich ab, wollte instinktiv ihr Erröten verbergen, und kam sich dann albern vor, weil er es in der Dunkelheit ohnehin nicht hatte sehen können.
Vielleicht ja doch. Er wirkte auf sie wie ein Mann, der es am Geruch des Windes oder der Sternenkonstellation ablesen konnte, wenn eine Frau errötete. Ein Mann, der sich mit Frauen auskannte.
„Sie haben wohl keinen näheren Blick auf sie werfen können?", fragte er und fügte dann hinzu: „Auf unsere amourösen Freunde, meine ich."
Annabel schüttelte den Kopf. „Ich war vor allem damit beschäftigt zu entkommen."
„Natürlich. Sehr vernünftig. Aber wirklich schade. Wenn ich wüsste, wer die beiden sind, wüsste ich vielleicht auch, wie lange es dauert."
„Wirklich?"
„Die Männer sind nicht alle gleich, wissen Sie", erklärte er bescheiden.
„Dieser Aussage sollte ich wohl nicht auf den Grund gehen", sagte sie herausfordernd.
„Nicht wenn Sie wirklich vernünftig sind." Er lächelte sie noch einmal an, und, lieber Himmel, es raubte ihr den Atem.
Wer dieser Mann auch war, die Götter der Zahnheilkunde hatten ihm schon oft einen Besuch abgestattet. Seine Zähne waren weiß und gleichmäßig, sein Grinsen war breit und ansteckend.
Es war verdammt unfair. Ihre eigene untere Zahnreihe war ein einziges Chaos, genau wie bei ihren Geschwistern.
Ein Arzt hatte einmal gesagt, er könne sie richten, aber als er sich ihr mit einer großen Zange nähern wollte, hatte Annabel Fersengeld gegeben.
Doch dieser Mann - sein Lächeln reichte bis zu seinen Augen, es erleuchtete sein Gesicht, den ganzen Raum. Was eine alberne Bemerkung war, schließlich hielten sie sich draußen auf. Außerdem war es dunkel. Trotzdem hätte Annabel schwören können, dass die Luft ringsum zu schimmern und zu leuchten begonnen hatte.
Entweder das, oder sie hatte den Punsch aus der falschen Schüssel genossen. Eine war für die jungen Damen gedacht gewesen, die andere für die übrigen Gäste, und Annabel war sich sicher, dass sie ... na ja, ziemlich sicher. Es war die auf der rechten Seite gewesen. Louisa hatte gesagt, dass es die rechte Schüssel sei, oder nicht? Nun, ihre Chancen standen mindestens fünfzig zu fünfzig.
„Kennen Sie denn alle hier?", erkundigte sie sich. Diese Frage musste sie einfach stellen. Außerdem war er derjenige, der mit diesem Thema angefangen hatte.
Verständnislos hob er die Brauen. „Wie bitte?"
„Sie haben mich um eine Beschreibung des Paars gebeten", erklärte sie. „Kennen Sie alle hier, oder nur diejenigen, die sich schamlos benehmen?"
Er lachte auf. „Nein, alle kenne ich nicht, aber fast alle - was ich fast noch mehr bedauere als den Umstand, ein Gewissen zu haben."
Annabel dachte an einige der Leute, die sie im Lauf der letzten Wochen kennengelernt hatte, und lächelte schief.
„Ich kann mir vorstellen, dass das mitunter ein wenig entmutigend sein kann."
„Eine intelligente
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