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Rendezvous in Kentucky

Titel: Rendezvous in Kentucky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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lehnte selbst die kleinsten Gefälligkeiten ab. So war es gekommen, daß die ganze Stadt in der Schuld des Richters stand.
    Zuerst hatte Linnet versucht, mit ihm auszukommen. Er war sogar einige Male zum Abendessen bei ihr und Miranda gewesen. Aber bald waren Jule und Ova aufgetaucht, um von »Frau zu Frau« mit ihr zu reden. Sie hatten erklärt, daß es ihrem Ruf schaden würde, wenn sie jeden Abend einen Mann in ihrem Haus empfing. Die Leute würden über sie klatschen — nicht daß sie, Jule und Ova, sich auch zu solch einer Niedertracht herablassen würden, o nein, sie nicht! —, aber nicht jeder wäre schließlich so christlich eingestellt wie sie!
    Das Benehmen der Leute von Spring Lick hatte Linnet zuerst zur Verzweiflung gebracht. Jetzt, nach einem Jahr
    Aufenthalt in dieser Gemeinde, verstand sie zumindest die seltsamen Reaktionen, obwohl sie ihr nach wie vor verhaßt waren. Die Frauen hier würden einen gutaussehenden Junggesellen mit offenen Armen aufnehmen. Aber eine alleinstehende Frau wirkte störend. Linnet hatte einige beißende Kommentare über ihre Person herunterschlucken müssen. Spring Lick war viermal so groß wie Sweetbriar, doch sie hatte mehr Freunde in der kleinen Siedlung gehabt, als sie bis jetzt in diesem großen Ort finden konnte. Nettie war die einzige, die keine neugierigen Fragen stellte, die niemals Miranda mit Blicken bedachte, als wäre das Kind eine Art weißer Elefant oder ein Stück Dreck.
    Der Gedanke an die Kinder brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Die ersten Erfahrungen im Umgang mit Kindern hatte sie auf dem Treck nach Kentucky gesammelt. Ulysses und die anderen waren glückliche, guterzogene kleine Geschöpfe gewesen, die sie sehr gemocht hatte — ähnlich wie die Kinder in Sweetbriar. Linnet mußte auf einmal an die geschnitzte Skulptur denken, die sie zusammen mit Jessie zeigte. Sie fragte sich, ob und wie sich Jessie in den vergangenen Jahren verändert hatte. Ob man sich in Sweetbriar überhaupt noch an sie erinnerte?
    Sie unterdrückte gewaltsam ihre schwermütigen Gedanken. Nicht Sweetbriar war ein Problem, sondern die gegenwärtige Situation in Spring Lick! Als der Richter ihr damals den Posten einer Lehrerin angeboten hatte, war sie sehr glücklich gewesen. Heute fragte sie sich allerdings oft, ob es nicht eher ein Unglück für sie gewesen war, in diesen Ort gekommen zu sein. So wie die Städte verschieden waren, so unterschieden sich die Kinder. Was sie Jessie und den anderen auch Liebes getan hatte — stets wurde es ihr hundertfach vergolten. Aber die Kinder hier in Spring Lick waren ganz anders. Manchmal fühlte Linnet sehr deutlich, daß sie ihnen vollkommen gleichgültig war. Wenn sie mitten im Unterricht tot umfiele, würden die kleinen Ungeheuer das gar nicht beachten.
    Stets schauten sie sie mit leeren, desinteressierten Augen an. Netties Behauptung, nur die Gather-Kinder wären ein Problem, traf nicht ganz zu. Manchmal sehnte sich Linnet regelrecht nach einem Jungen wie Jessie, der ihr widersprach und die Mädchen ärgerte. Alles konnte sie tun — nur nicht mehr diese kalten Kinderaugen ertragen, die sie anstarrten und nicht zu bemerken schienen, daß sie ein Mensch war!
    Müde stand Linnet auf, denn sie hörte ihre Schüler kommen. Als sie sie hereinließ, schlurften sie mit gesenkten Köpfen an ihr vorbei. Keines der Kinder sah Linnet an.

13
    »Miranda, was hältst du von einem kleinen Spaziergang?« fragte Linnet ihre kleine Tochter. Mühsam strampelte das Mädchen, um auf die Füße zu kommen, und lief dann stolpernd in die ausgebreiteten Arme seiner Mutter. Linnets seliges Lächeln verblaßte jedoch sofort, als ein Klopfen zu hören war. Sie hatte eigentlich gehofft, daß der Richter erst dann kommen würde, wenn sie schon das Haus verlassen hätte. »Hallo«, begrüßte sie ihn dennoch höflich. »Miranda und ich sind schon fertig.«
    Talbot beachtete — wie gewöhnlich — das Kind nicht. Ernst sah das kleine Mädchen zu ihm auf, als wüßte es, daß der Standesdünkel des Richters es niemals zulassen würde, ein Kind der Sünde zu bemerken.
    »Ein wundervoller Abend, nicht wahr?« meinte Linnet und atmete in tiefen Zügen die reine Luft, die nach Frühlingsblumen roch.
    »Ja«, erwiderte er und betrachtete sie gierig.
    »Wie ist es Ihnen in Danville ergangen?«
    Der Richter warf sich stolz in die Brust: »Meine Rede hat wohl alle sehr beeindruckt.« Er gönnte ihr einen langen Blick. »Ich danke Ihnen, daß Sie sie mir aufgesetzt

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