Rendezvous Mit Dem Universum
einmal gewusst. »Staub bist du und zu Staub sollst du werden.« Aber die Indianer haben es nie vergessen. Und deshalb ist die Erde für einen Indianer eine ebenso reale Mutter wie die Frau, die ihn geboren hat. Wer darüber lächelt, täuscht sich. Es beschreibt die Realität viel besser als die Vorstellung vom großen, toten Stein, auf dem wir wohnen. Kein Mensch würde radioaktive Abfälle in seine Mutter kippen. Und niemand möchte die Abwässer der Chemiewerke trinken. Die Indianer haben nie vergessen, dass wir sie früher oder später doch trinken müssen - weil alles Leben in Kreisen ist. Alles ist mit allem verbunden, und nichts kann den Kreisläufen entkommen. Wie viel mehr die Erde unsere Mutter ist als etwa irgendein Bauxitvorkommen, werden wir notgedrungen zu begreifen haben. Unter Schmerzen werden wir es lernen, dass alles Leben tatsächlich in Kreisen ist.
Der Mensch braucht Sauerstoff und gibt Kohlendioxid ab, der Baum verbraucht Kohlendioxid und produziert Sauerstoff. Auch eine innige Verbindung, so innig, dass man sie ebenso gut Abhängigkeit nennen könnte. Auch etwas, was wir bald begreifen werden. Hilfreich ist es, sich den Menschen als den Schnittpunkt einer großen Zahl verschiedener Kreisbahnen vorzustellen.
Alles Leben ist in Kreisen. Und was ist es, was den Kreis auszeichnet? Am besten lassen wir die Indianer noch einmal zu Wort kommen: »Es liegt viel Kraft im Kreis - die Vögel wissen das, darum fliegen sie in Kreisen und bauen ihre Nester in dieser Form. Der Fuchs weiß es auch, denn er lebt in einer runden Erdhöhle.« Der Vorsprung der indianischen Kultur zeigt sich in der Tatsache, dass ihre Wissenschaftler auch Poeten waren. So kommt es, dass sie physikalische Erkenntnisse in wunderschöne Bilder packen können. Dass viel Kraft im Kreis liegt, ist auf jeden Fall richtig. Jede Kuppel beweist es, jedes Rohr, jedes Ei und jeder Strohhalm. Dass es die Vögel auf eine schönere Art und Weise zu beweisen scheinen, zählt für einen Physiker nicht.
Auf jeden Fall bewirkt die Kreisform eine außerordentliche Stabilität. Und diese Stabilität beruht auf der absoluten Gleichwertigkeit aller Punkte im Kreis. Je deformierter die Kreisform eines Querschnitts ist, desto geringer ist seine Festigkeit. Und selbst die Füchse wissen es. Aber wir haben es vergessen und glauben es erst wieder, wenn es uns bewiesen wird.Wir wissen es auch - deshalb baut jedes Kind seinen Schneeball so rund, wie es kann, und selbst unsere Hände scheinen es zu wissen, weil sie nichts leichter formen können, als einen Schneeball.
Dass dieses direkte Wissen gar nichts zählt, im wissenschaftlichen Sinne, beraubt unsere Wissenschaft der wichtigsten und größten Erkenntnisquelle, die wir besitzen, und erklärt deren Unfähigkeit, sich dem Leben und seinen Wundern zu nähern.
Das Leben aber ist in Kreisen, weil sie so stabil sind und so ausgeglichen.Von der Schönheit wollen wir hier gar nicht erst anfangen, wohl aber eine weitere Außerordentlichkeit des Kreises hervorheben: Er hat keinen Anfang und kein Ende. Wie sollte er auch, wenn alle Punkte gleichwertig sind? Wohl aber besitzt jeder Punkt einen genau definierten Gegenpunkt. Gegenüber von ganz oben ist ganz unten, gegenüber von rechts ist links, und wenn Sie auf einem Karussell sitzen, sehen Sie auf der einen Seite genau das, was Sie auf der anderen nicht sehen konnten. Wenn Menschen im Kreis zusammensitzen, hat jeder alle im Auge, und alle zusammen sehen alles. Die Indianer, die ja vieles nicht vergessen hatten, haben sich deshalb »im kreisförmigen Bund« des Stammes organisiert, und zwar sehr bewusst. Für das Einzelwesen hatte das den Vorteil absoluter Gleichwertigkeit und den, sich aussuchen zu können, ob man Punkt oder Gegenpunkt sein möchte. Das Dreieck, das unsere Organisationsform der sozialen Pyramide darstellt, ist neben der Geraden, die wir so lieben,
das krasseste Gegenteil des Kreises. Unten viele, die plattgedrückt werden, und oben einer mit gutem Rundblick. Natürlicher ist ganz gewiss der »kreisförmige Bund«, und damit artgerechter, das heißt lebensgerechter, lebenswerter, lebendiger. Denn in Kreisen ist das Leben.
Das Wasser, die wohl auffälligste Manifestation des Lebens, die wir kennen, scheint es sowieso zu wissen. Theodor Schwenk beginnt sein Buch Das sensible Chaos mit einem Kapitel über »Urbewegungen des Wassers«, dessen erster Absatz lautet: »Wo immer das Wasser auftritt, zeigt es das Bestreben, in die Kugelform zu gehen.
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