Rendezvous mit Mr Darcy
Teil dieses Landes stand jetzt die Schlossruine. Die Wrightmans und die Familie von Grace waren entfernte Verwandte und einmal beide Mitglieder des Adels gewesen, doch jetzt gehörten nur noch die Wrightmans diesem Stand an.
Einem Mann nur wegen seines Landbesitzes nachzujagen erschien Chloe sehr nach einem Verhalten des – neunzehnten Jahrhunderts. Andererseits – waren ihre Motive weniger von Geldgier bestimmt? Zweifelsohne lag das Augenmerk der meisten Frauen gleichermaßen auf dem Preisgeld von hunderttausend Dollar. Chloe wollte mit dem Gespräch fortfahren, doch Imogenes Anstandsdame, Mrs Hatterbee, tauchte auf und nahm mit ihrer Handarbeit in der Nähe Platz, sodass sie sich einem anderen Thema zuwenden mussten.
Gerade als Chloe ihrer Skizze den letzten Schliff geben wollte, spürte sie, dass jemand auf ihre Arbeit hinunterblickte.
»Sie haben die Steinurnen auf dem Gesims des Hauses vergessen.«
Henrys Stimme ließ sie zusammenzucken, sein Atem roch nach Minzblättern. Ihr fiel der Kohlestift hinunter, den er daraufhin wortlos aufhob und ihr zurückgab.
Sie fasste sich wieder und schaute hoch zur Fassade von Bridesbridge Place. Er hatte Recht, sie hatte die Urnen vergessen. »Es ist nur eine Skizze«, verteidigte sie sich.
Imogene schaute hinüber auf Chloes Skizzenbuch.
»Ja, aber es sind die Details, die den Unterschied machen.« Henry betrachtete eingehend Imogenes Skizze. »Details können dazu beitragen, jenen Sinneswandel zu erleben, von dem Aristoteles bei den darstellenden Künsten sprach. Stimmen Sie mir da zu, Miss Wells?«
Imogene lächelte. »Ja, das tue ich.«
»Ich mag Ihrer beiden Zeichenstile«, erklärte Henry, »und bin gespannt auf die endgültigen Fassungen, meine Damen.« Er verbeugte sich.
Chloe sah sich ihre Skizze an und runzelte die Stirn. Was kümmerte sie schon seine Meinung?
»Guten Abend, Mrs Hatterbee.« Henry verbeugte sich vor Imogenes Anstandsdame und machte sich auf den Weg zur Eingangstür von Bridesbridge.
»Und was tun Sie noch zu so später Stunde hier auf Bridesbridge, mein Herr?«, fragte Mrs Hatterbee.
»Ich habe durch einen Diener erfahren, dass Miss Harrington krank ist.« Henry hielt seine Arzttasche hoch.
Kates Allergien sicherten Henry häufige Besuche auf Bridesbridge.
»Oh, das arme Mädchen.« Mrs Hatterbee widmete sich wieder ihrer Handarbeit. Chloe sah, wie Henry zwei Stufen auf einmal nahm.
Imogene flüsterte: »Ich weiß wirklich nicht, welchen der beiden Brüder ich mehr mag.«
»Wie bitte?«, fragte Chloe.
»Sebastian ist ein Rätsel und sieht sehr gut aus, doch ich finde Henry genauso faszinierend.«
»Tatsächlich?« Die anderen Frauen erwähnten noch nicht einmal Henrys Namen, doch sie waren auch alle nicht so wie Imogene.
»Ja. Er hat einen hervorragenden Charakter und sieht ohne die Brille wirklich gut aus.«
Chloe hob eine Augenbraue.
»Wir haben Henry und Sebastian letzte Woche fechten sehen.«
»Hm.« Chloe beugte sich vor zu Imogene und flüsterte: »Henry ist großartig, aber ich bin völlig hingerissen von Sebastian. Ich kenne George zum jetzigen Zeitpunkt natürlich besser als Sebastian, und es ist noch zu früh, um wirklich etwas zu Sebastian zu sagen. Sie werden lachen, aber ich muss zugeben, ich mag auch George, er hat irgendwas.«
»George? Das kann nicht Ihr Ernst sein«, flüsterte Imogene zurück.
Mrs Hatterbee räusperte sich.
»Nun …«
»George ist verheiratet.«
»Ist er? Doch nicht etwa – mit Janey?«
Imogene schüttelte den Kopf. »Seine Frau und die beiden Kinder leben in London, während er auf der ganzen Welt dreht.«
»Aber er verhält sich nicht so, als wäre er verheiratet. Er trägt noch nicht einmal einen Ehering.«
»Sie haben Recht. In beiderlei Hinsicht.«
Chloe sackte über ihrem Skizzenbuch zusammen. »Wir befinden uns nun mal nicht wirklich im neunzehnten Jahrhundert, nicht?«
»Selbst das neunzehnte Jahrhundert war nicht das neunzehnte Jahrhundert«, erwiderte Imogene.
Chloe wollte das nicht glauben. Wenn Imogene einen Fehler hatte, dann war es ihr gelegentlicher Zynismus.
Ein Regentropfen fiel auf Chloes Skizze und verschmierte die Kohle. Die Luft hatte sich abgekühlt, und während sie ihre Skizzenbücher schlossen und die Kohlestifte einsammelten, begann es heftig zu regnen. Der englische Regen schien ohne Vorwarnung aus dem Nichts aufzutauchen und genauso schnell wieder zu verschwinden. Bei diesen häufigen Regengüssen war es kein Wunder, dass das Gras hier grüner
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