Rendezvous mit Rama
einem Satz nahm, musste Mercer Calvert Recht geben: Diese Treppe war gebaut worden, um hinauf-, nicht hinabzusteigen. Solange man sich nicht umschaute und die Schwindel erregende Steilheit der Krümmung ignorierte, war der Anstieg eine erfrischende Erfahrung. Nach etwa zweihundert Stufen begann er allerdings ein leichtes Zucken in seinen Wadenmuskeln zu verspüren und beschloss, langsamer weiterzumachen. Die anderen beiden taten es ihm nach. Als er einen raschen Blick über die Schulter zurückwarf, sah er, dass sie ein gutes Stück weiter unten am Hang waren.
Der Aufstieg verlief gänzlich ereignislos - es war nur eine scheinbar endlose Abfolge von Stufen. Als sie erneut auf der obersten Plattform standen, direkt unter der Leiter, waren sie kaum außer Atem, und sie hatten knapp zehn Minuten gebraucht. Sie machten noch einmal zehn Minuten Pause, dann nahmen sie den letzten senkrechten Kilometer des Aufstiegs in Angriff.
Springen, eine Sprosse packen - Springen - Packen - Springen - Packen ... es war leicht, aber auch so anödend gleichförmig, dass die Gefahr bestand, leichtsinnig zu werden. Auf halbem Weg machten sie fünf Minuten Pause: Inzwischen hatten außer den Beinen auch die Arme zu schmerzen begonnen. Wieder war Mercer froh darüber, dass sie so wenig von dieser senkrechten Oberfläche erkennen konnten, an der sie sich hocharbeiteten; so konnte man sich leicht einreden, dass die Leiter nur ein paar Meter über den erleuchteten Bereich hinausragte und bald zu Ende sein werde.
Springen-Packen, Festhalten an der Sprosse, Springen - und dann war die Leiter ganz plötzlich wirklich zu Ende. Die ganze Exkursion hatte etwas weniger als eine Stunde gedauert, und jetzt waren sie wieder zurück in jener gewichtslosen Welt an der Rama-Achse und inmitten ihrer besorgten Freunde. Sie verspürten durchaus einen gewissen Stolz.
Doch war es bei weitem noch zu früh für eine bequeme Selbstzufriedenheit. Trotz all ihrer Anstrengungen hatten sie erst weniger als ein Achtel des gigantischen Treppensystems geschafft.
11 Männer, Frauen und Menschenaffen
Schon vor langer Zeit war Commander Norton zu der Überzeugung gelangt, dass bestimmte Frauen nicht an Bord eines Raumschiffes geduldet werden dürften: Die Schwerelosigkeit stellte mit ihren Brüsten Sachen an, die eine zu verteufelt starke Ablenkung bedeuteten. Es war schon schlimm genug, wenn sie sich nicht bewegten, aber wenn sie sich bewegten und die sympathischen Vibrationen begannen, dann war das mehr, als einem warmblütigen männlichen Wesen zuzumuten war. Für Norton stand außer Frage, dass zumindest ein schwerer Unfall im Raum durch akute Ablenkung der Besatzung verursacht worden war, nachdem ein wohlgepolsterter weiblicher Offizier durch die Kontrollkanzel gegangen war.
Er hatte diese These einmal gegenüber der Stabsärztin Commander Laura Ernst vertreten, ohne hinzuzufügen, wer ihn zu diesen besonderen Gedankengängen angeregt hatte. Das erübrigte sich auch: Sie kannten einander viel zu gut. Vorjahren hatten sie einmal in einem Moment beiderseitiger Einsamkeit und Depression miteinander geschlafen. Wahrscheinlich würden sie diese Erfahrung nie wiederholen (doch konnte man in diesem Punkt je völlig sicher sein?), da sich für beide inzwischen sehr viel verändert hatte. Doch wann immer die wohlgeformte Doktorin sich in die Kabine des Commanders schlängelte, verspürte er einen flüchtigen Nachhall vergangener Leidenschaft, und da sie das ganz genau wusste, war jedermann zufrieden.
»Bill«, begann sie, »ich habe unsere Kletterer untersucht. Hier ist meine Beurteilung. Karl und Joe sind in guter Verfassung-alle Reaktionen normal, angesichts der Leistung, die sie hinter sich haben. Aber Will weist Anzeichen von Erschöpfung und Gewichtsstörung auf - ich gehe nicht ins Detail. Ich glaube, er hat nicht ausreichend trainiert, und er ist nicht der Einzige, bei dem ich das vermute. In der Zentrifuge hat es Drückeberger gegeben; und wenn das so weitergeht, dann werden bald ein paar Köpfe rollen. Bitte veranlassen Sie das Nötige.«
»Jawohl, Ma'am. Aber es gibt eine Entschuldigung. Die Männer haben äußerst hart gearbeitet.«
»Sicher, mit dem Gehirn und den Fingern. Aber nicht mit dem Körper - sie haben keine echte Arbeitsleistung in Kilopond erbracht. Und damit werden wir es zu tun bekommen, wenn wir Rama erforschen.«
»Gut, können wir das?«
»Ja, wenn wir behutsam vorgehen. Karl und ich haben zusammen eine sehr vorsichtige Prognose erarbeitet
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