Rendezvous mit Rama
und ein kleines tragbares Teleskop verlassen müssen.
Die Strecke vom Fuß der Alpha-Treppe bis zum Rand der See betrug knapp fünfzehn Kilometer - beziehungsweise angesichts der niedrigen Schwerkraft Ramas vergleichbare acht Kilometer auf der Erde. Laura Ernst wollte beweisen, dass sie sich selbst an das Leistungsniveau hielt, das sie verlangte, und schlug eine forsche Gangart an. Auf halbem Weg machten sie dreißig Minuten Rast. Sie schafften die ganze Strecke in drei Stunden, in denen sich nicht das Geringste ereignete.
Außerdem war es ziemlich langweilig, im Strahl des Suchscheinwerfers durch die echolose Finsternis Ramas voran zu marschieren. Als die Lichtpfütze mit ihnen weiterrückte, streckte sie sich langsam mehr und mehr zu einer langen schmalen Ellipse; diese Verengung des Strahls war das einzige sichtbare Anzeichen dafür, dass sie vorankamen. Ohne die ständigen Entfernungsangaben des Beobachters an der Nabe hätten die drei keine Möglichkeit gehabt abzuschätzen, ob sie einen Kilometer oder fünf oder zehn weitergekommen waren. Sie stolperten einfach schwerfällig durch diese Millionen Jahre alte Nacht über eine scheinbar nahtlose Metallfläche dahin.
Aber endlich zeichnete sich weit hinter der Begrenzung des schwächer werdenden Strahls etwas Neues ab. In einer normalen Welt wäre es ein Horizont gewesen; hier konnten sie beim Vorrücken feststellen, dass die flache Ebene, auf der sie marschierten, ein abruptes Ende nahm. Sie näherten sich dem Rand der See.
»Nur noch hundert Meter«, verkündete die Kontrollstation an der Nabe. »Macht besser langsam.«
Die Mahnung war kaum nötig, sie hatten das Tempo bereits gedrosselt. Von dem Niveau der Ebene zur See hin fiel eine glatte, steile Wand von fünfzig Metern Tiefe ab. Falls es sich überhaupt um ein Meer handelte und nicht wieder um einen Überzug aus jenem rätselhaften Kristallstoff. Norton hatte zwar alle nachdrücklich davor gewarnt, wie gefährlich es sein könne, irgendetwas auf Rama für selbstverständlich zu halten, doch nur wenige zweifelten daran, dass die >See< wirklich aus Eis bestand. Aber gab es einen vernünftigen Grund dafür, dass die Steilküste am Südufer fünfhundert Meter hoch war, die hier am Nordufer jedoch nur fünfzig?
Es war, als näherten sie sich dem Rand der Welt: Ihr Lichtoval wurde immer kürzer und brach vor ihnen plötzlich ab. Aber weit draußen auf der Kimmung der See waren ihre riesigen verkürzten Schatten aufgetaucht, und jede Bewegung wirkte gigantisch vergrößert und verzerrt. Diese Schatten hatten sie auf jedem Schritt ihres Weges begleitet, während sie im Strahl des Scheinwerfers vordrangen; jetzt, da sie vom Kamm der Klippe abgeschnitten wurden, schienen diese Schatten nicht mehr zu ihnen zu gehören. Es hätten Geschöpfe der Zylindrischen See sein können, die darauf lauerten, mit den Eindringlingen in ihr Reich abzurechnen.
Da sie nun am Rand einer fünfzig Meter hohen Klippe standen, ergab sich erstmalig die Chance, die Krümmung Ramas abzuschätzen und zu bewundern. Aber kein Mensch hatte jemals zuvor einen zugefrorenen See gesehen, der sich nach oben zu einer zylindrischen Fläche aufwölbt. Der Eindruck war einfach beunruhigend, und die Augennerven und das Sehzentrum im Gehirn taten ihr Bestes, eine andere Erklärung zu finden. Dr. Ernst, die früher einmal eine Arbeit über optische Illusionen geschrieben hatte, gewann den Eindruck, dass sie in Wirklichkeit mehr als die Hälfte der Zeit auf eine sich horizontal erstreckende Bucht blickte und nicht auf eine Fläche, die sich steil in den Himmel empor reckte. Es war eine bewusste Willensanstrengung nötig, die unglaubliche Wahrheit zu akzeptieren.
Nur direkt vor ihnen, auf der Linie, die mit der Achse Ramas parallel verlief, blieb die Normalität bestehen. Einzig in dieser Richtung stimmten optischer Eindruck und Logik miteinander überein. Hier wirkte Rama - zumindest über die nächsten paar Kilometer hin - flach und war auch flach ... Und weit draußen, jenseits ihrer verzerrten Schatten und der äußersten Grenze des Scheinwerferstrahls, lag die Insel, die die Zylindrische See beherrschte.
»Kontrollpunkt Nabe«, meldete sich Dr. Ernst über Funk. »Bitte richten Sie den Scheinwerfer auf New York.«
Plötzlich fiel die Rama-Nacht wieder über sie, als das Lichtoval auf die See hinaus glitt. Und plötzlich wurde den drei Raumfahrern wieder bewusst, dass sie auf dem Kamm einer - jetzt unsichtbaren - Klippe standen, und sie wichen
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