Rendezvous mit Übermorgen
dass die Bioten auf Francesca Jagd machten. Kaum saß er hinter dem Lenkrad, steuerte er den Rover mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zu. Zunächst hatte er vorgehabt, sie aufzunehmen und aus der Stoßrichtung des Biotenangriffs zu bringen. Aber die Distanz war schon zu gering, und so beschloss Reggie eine seitliche Crash-Attacke gegen die drei Krebse. Metall fuhr kreischend in Metall, als das Leichtfahrzeug die Bioten rammte. Und Reggies Plan klappte. Der Aufprall warf ihn und die Krebse einige Meter seitwärts weg. Francesca war außer Gefahr.
Aber die Bioten waren nicht lahmgelegt. Keine Spur davon. Zwar hatte einer der Unterkrebse ein Bein eingebüßt und der Leitbiot wies einen leichten Klauenschaden auf, doch Sekunden danach waren sie alle drei heftig am Werk und begannen mit dem Abwracken. Sie begannen mit den Schneideklauen den Rover in Stücke zu reißen, und dann setzten sie ihr grässliches Sortiment von Sägen und Fräsen ein und zerlegten die Trümmer in noch kleinere Teile.
Der Aufprall hatte Reggie momentan betäubt. Diese außerirdischen Biester waren schwergewichtiger, als er erwartet hatte, und sein Fahrzeug war ernstlich beschädigt. Sobald ihm klar geworden war, dass die Bioten noch aktionsfähig waren, hatte er aus dem Rover auszusteigen versucht. Aber das konnte er nicht: Seine Beine waren unter dem heruntergedrückten Armaturenbrett eingeklemmt.
Sein Entsetzen war grenzenlos, aber es dauerte nur zehn Sekunden. Niemand hätte irgendetwas dagegen tun können. Die grässlichen Schreie Reggie Wilsons hallten durch Rama, als die Bioten ihn zerlegten, als wäre er ein Teil des Rovers. Sie erledigten ihre Arbeit rasch und mit System. Und sowohl Francesca mit ihrer Videohandkamera als auch die automatische Kamera am Hubschrauber zeichneten die letzten paar Sekunden im Leben Reggie Wilsons auf. Die Bildsequenzen wurden live zur Erde übertragen.
30 Post mortem II
Nicole saß starr in ihrem Quartier im Beta-Lager. Es gelang ihr nicht, das grauenhafte Bild auszulöschen: das entsetzte verzerrte Gesicht Reggie Wilsons, während er von Fräsen und Scheren zerstückelt wurde. Sie versuchte sich zu anderen Gedanken zu zwingen. Also, was wird jetzt werden ? Was wird aus unserer Mission?
In Rama war es inzwischen wieder dunkel. Vor drei Stunden waren die Lichter plötzlich wieder ausgegangen - nach einer Helligkeitsperiode, die um vierunddreißig Sekunden kürzer war als der vorherige Rama-Tag. Der Nachteinbruch hätte eigentlich zu großen Diskussionen und Spekulationen führen müssen. Es war nicht geschehen. Keiner der Kosmonauten war geneigt, überhaupt über etwas zu reden. Reggie Wilsons scheußlicher Tod lastete zu drückend auf allen.
Die reguläre Abendbesprechung war auf den Morgen verschoben worden, weil David Brown und Admiral Heilmann in langwierigen Konferenzen mit ISA-Beamten daheim auf der Erde festsaßen. Nicole selbst hatte sich an keinem Gespräch beteiligt, doch es fiel ihr nicht schwer, sich deren Inhalt vorzustellen. Ihr war klar, dass es jetzt die sehr reale Möglichkeit gab, dass die ganze Mission aufgegeben werden würde. Die lautstarken Proteste der Öffentlichkeit könnten das notwendig machen. Schließlich - die Menschheit war ja unmittelbar Zeuge eines höchst grauenvollen Ereignisses geworden.
Nicole dachte an ihre Tochter daheim vor dem Bildschirm in Beauvois, während die Übertragung lief, bei der Kosmonaut Wilson von den Bioten systematisch zerstückelt wurde. Sie fuhr schaudernd zusammen. Doch dann gab sie sich einen scharfen Verweis für eine derartige egozentrische Gefühlsregung. Wirklich entsetzlich , sagte sie leise in sich hinein, muss es in Los Angeles gewesen sein.
Sie war Wilsons Familie zweimal begegnet - auf den Parties unmittelbar nach Bekanntgabe der Besatzungsliste. An den Jungen erinnerte sich Nicole besonders genau. Er hieß Randy. Sieben oder acht Jahre alt, mit riesigen Augen, bildschön. Ein begeisterter Sportfan. Er hatte Nicole einen seiner heißestgeliebten Schätze gebracht, ein Programm der Olympischen Spiele von 2184 in fast perfektem Zustand ... er hatte sie um ein Autogramm auf der Seite mit dem Wettkampf der Frauen im Dreisprung gebeten. Sie hatte ihm die Haare gezaust, als er ihr mit einem breiten Lächeln dankte.
Die Vorstellung, wie Randy im Fernsehen seinen Vater sterben sehen musste, war zu viel für Nicole. Tränen quollen ihr in die Augenwinkel. Was war dieses letzte Jahr für dich, Kleiner, was für ein Albtraum , dachte sie. So
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