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Rendezvous mit Übermorgen

Rendezvous mit Übermorgen

Titel: Rendezvous mit Übermorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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also diente der Panzer? Woher kam er? Seltsam und immer seltsamer, dachte Nicole ironisch.
    Als sie wieder die zweite Untergrundetage erreicht hatte, spähte sie herum, ob es vielleicht einen anderen Ausweg aus dem Vogelbau gebe. Gegenüber an der Wand des Vertikalgangs sah sie die identischen Gegenstücke zu den Simsen auf ihrer Seite. Wenn es ihr gelang hinüberzuspringen ...
    Aber ehe sie einen derartigen Plan ernstlich erwog, musste sie sich zunächst vergewissern, ob auf Stufe eins ein Tank oder ein ähnlicher Wächter den Tunnel der gegenüberliegenden Seite beschützte. Das konnte sie von ihrer Position aus nicht feststellen, also brummte sie ein paar Flüche über die eigene Idiotie in sich hinein und kletterte auf ihrer Seite wieder nach oben, um einen genauen Überblick über den Schacht zu gewinnen. Und sie hatte Glück, denn der Sims gegenüber war unbewacht.
    Als sie endlich wieder auf dem zweiten Absatz angelangt war, war sie von der ganzen Kletterei erschöpft. Sie blickte in die Querstollen und auf die Lichter drunten im Schacht. Wenn sie abstürzte, würde das höchstwahrscheinlich ihren Tod bedeuten. Sie hatte Entfernungen schon immer recht gut abschätzen können, und jetzt kalkulierte sie, dass es von der Kantenplattform vor ihrem Tunnel bis zu der gegenüber etwa vier Meter sein müssten. Vier Meter, überlegte sie, höchstens viereinhalb. Vorausgesetzt, es ist etwas Platz auf beiden Seiten, ein Fünfmetersprung. ImFlugdress mit Rückenpack.
    Sie erinnerte sich an einen Sonntagnachmittag in Beauvois vor vier Jahren. Genevieve war zehn, und sie schauten sich zusammen im TV die Olympia-Übertragung der Spiele 2196 an. »Kannst du eigentlich immer noch weit springen, Maman?«, hatte die Kleine gefragt. Anscheinend machte es ihr einige Mühe, sich ihre Mutter als olympischen Champion vorzustellen.
    Pierre hatte sie dazu überredet, mit dem Kind auf den Sportplatz der Ecole Secondaire in Luynes zu gehen. Beim Dreisprung war ihr Timing mies gewesen, doch nachdem sie sich eine halbe Stunde lang aufgewärmt und probiert hatte, hatte Nicole 6,5 Meter im Weitsprung geschafft. Ihre Tochter war nicht übermäßig beeindruckt davon. Als sie durch das grüne Land zurück nach Hause radelten, hatte ihre Tochter gesagt: »Also, Mam‘, weißt du, Danielles große Schwester schafft es fast so weit, und die ist bloß Studentin an der Uni.«
    Die Erinnerung ließ eine schwere Betrübtheit in Nicole aufquellen. Es verlangte sie danach, die Stimme ihrer Tochter wieder zu hören, dem Kind bei der Frisur zu helfen oder im Kahn auf dem kleinen Privatteich umherzurudern. Wir schätzen die Zeit, die uns gegeben ist, nie richtig, nie hoch genug ein, dachte Nicole, bis die, die wir lieben, nicht mehr bei uns sind.
    Dann stieg sie wieder in den Tunnel auf die Stelle zu, wo die Fluggeschöpfe sie verlassen hatten. Nein, sie würde den Versuch zu springen nicht wagen. Denn wenn sie abstürzte ...
    »Nicole! Nicole des Jardins! Wo stecken Sie, verdammt nochmal?« Sie erstarrte zu Eis, sobald sie den Ruf hörte. Sehr schwach. Weit, weit weg. Hatte sie sich das nur eingebildet? »Nicole?«, hörte sie noch einmal, und es war ganz eindeutig Richard Wakefields Stimme. Sie rannte zu dem vertikalen Stollen zurück und begann zu schreien. Aber nicht doch, dachte sie bestürzt, damit wecke ich sie ja auf. Ich brauche nicht mehr als fünf... Minuten. Ich kann springen ...
    Adrenalin pulste heftig durch Nicoles Körper. Sie berechnete ihre Schrittweite und flog über den Abgrund und hätte eine noch viel weitere Distanz geschafft. Sie kletterte die Simse mit halsbrecherischem Tempo empor. Und als sie beinahe oben war, hörte sie Richard wieder nach ihr rufen.
    »Hier bin ich, Richard«, brüllte sie. »Hier, unter Ihnen. Unter dem Niveau der Plaza!« Sie langte an der obersten Stufe an und stemmte sich gegen
    den Deckel. Der bewegte sich jedoch nicht. »Scheiße!«, sagte sie laut, denn sie hörte Richard verwirrt in der Nähe herumsuchen. »Hier! Richard! Hier drüben! Wo Sie meine Stimme hören! Klopfen Sie den Boden ab!«
    Richard begann heftig auf den Deckel zu hämmern. Sie brüllten einander gegenseitig Anweisungen zu. Es war ein betäubender Lärm. Von tief unten hörte Nicole das Klatschen von Flügeln. Als die Flugwesen den Schacht herauf flatterten, begannen sie zu kreischen und zu keckem.
    »Helft mir doch!«, schrie Nicole sie an, als sie in ihre Nähe kamen. Sie deutete zu dem Deckel. »Mein Freund. Er ist dort

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