Rendezvous mit Übermorgen
kommen könnten. Sie war keine besonders gute Schwimmerin. Beim Training hatte sie immer etwa eine Viertelstunde für einen Kilometer gebraucht. Und dies im glatten Wasser eines Schwimmbeckens. Hier würde sie fünf Kilometer durch eine eisige kabbelige See schaffen müssen. In Begleitung von bezaubernden Geschöpfen wie Hai-Bioten.
Ihre Überlegungen wurden von einem zwanzig Zentimeter kleinen lustigen feisten Kerl unterbrochen. »Mag sie nicht einen Schluck trinken, holde Maid?«, fragte Falstaff. Nicole rollte sich auf die Seite und betrachtete den Roboter aus der Nähe. Er hob einen gewaltigen Miniaturhumpen an den Mund und trank und verschüttete dabei etliches in seinen Bart. Er wischte es mit dem Ärmel fort, dann rülpste er. »Und wenn ihr Sinn nicht Lust hat auf den Trank«, dröhnte er mit breitem britischen Akzent und fuhr mit der Hand in seinen Hosenlatz, »so hat Sir John vielleicht das rechte Stück, ihr ein, zwei lustige Sachen sinnvoll zwischen den Laken zu zeigen.« Das feiste Miniaturgesichtchen hatte einen deutlich lüsternen Ausdruck. Die Erscheinung war derb, aber äußerst komisch.
Nicole musste lachen. Falstaff ebenfalls. »Ich bin nicht nur geistreich in mir selbst«, sagte der Roboter, »sondern die Ursache, dass Witz in andern Menschen wächst.«
»Wissen Sie, Richard«, sagte Nicole zu ihm, der aus einigen Metern Entfernung zusah, »wenn Sie es jemals leid sind, Astronaut zu sein, könnten Sie ein Millionenvermögen verdienen mit Kinderspielzeug!«
Er trat zu ihr und hob Falstaff auf. Er dankte Nicole für das Kompliment. Dann sagte er sehr ernst: »Soweit ich es überblicke, haben wir drei Möglichkeiten zur Wahl: Wir können schwimmen - wir können hier in New York versuchen genug Material aufzutreiben, um eine Art Boot zu bauen - oder wir können hier warten, bis jemand kommt. Ich bin für keine unserer Alternativen sehr optimistisch.«
»Was schlagen Sie also vor?«
»Einen Kompromiss. Sobald es hell ist, sollten wir die wichtigsten Gebiete der City genau erforschen, besonders die Gegend um die drei Plazas, ob es da Material gibt, mit dem wir ein Boot bauen könnten. Wir setzen dafür einen Rama-Tag an, vielleicht zwei. Wenn wir nichts finden, müssen wir es eben schwimmend versuchen. Ich glaube nämlich nicht daran, dass wir jemals eine Rettungsmannschaft zu Gesicht bekommen werden.«
»Klingt mir vernünftig. Aber ich würde vorher gern noch etwas anderes tun. Wir haben nicht gerade Unmengen Nahrung, wenn ich es mal so bescheiden ausdrücken darf. Mir wäre wohler, wenn wir zunächst mal die Manna-Melone heraufholten. Damit hätten wir etwas für den Notfall.«
Richard gab zu, dass es wahrscheinlich klug sei, als erste Aktion für einen Nahrungsvorrat zu sorgen. Dabei jedoch den chirurgischen Nähfaden wieder einzusetzen, das gefiel ihm weniger. »Sie hatten mehrfach Glück«, erklärte er Nicole. »Das Garn hat gehalten, und es ist nicht einmal von dem Gurt abgerutscht, den Sie gemacht haben. Dafür hat es aber die Handschuhe an zwei Stellen glatt durchschnitten und den Gurt auch beinahe.«
»Haben Sie eine andere Idee?«
»Das Material des Gitternetzes bietet sich geradezu an«, meinte Richard. »Es dürfte geradezu ideal sein, vorausgesetzt, wir haben keine Schwierigkeiten, es zu kriegen. Dann könnte ich in die Grube steigen und es Ihnen ersparen ...«
»Falsch«, unterbrach ihn Nicole. »Bei allem gebührenden Respekt«, sagte sie lächelnd, »momentan ist nicht die Zeit für tollkühnen Machismo. Das Gitternetz ist eine großartige Idee. Aber Sie sind einfach zu schwer. Falls was schiefgeht, würde ich Sie nie da herausziehen können.« Sie klopfte ihn auf die Schulter. »Und ich hoffe, ich verletze Ihre Gefühle nicht, wenn ich das sage, aber ich glaube, von uns beiden bin ich wohl doch die sportlichere.«
Richard spielte den in seinem Stolz Verletzten. »Was ist nur aus den guten alten Traditionen geworden? Es ist doch stets das Männchen, das sich mit Großtaten körperlicher Kraft und Geschicklichkeit beweist. Haben Sie denn die Cartoons Ihrer Kindheit ganz vergessen?«
Nicole lachte herzlich. »Ja, mein Bester«, sagte sie leichthin, »aber leider sind Sie nicht Popeye - und ich nicht Olivia.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das ertragen kann!« Er schüttelte heftig den Kopf. »Mit vierunddreißig die furchtbare Entdeckung zu machen, dass ich nicht Popeye bin ... Was für ein Tiefschlag für mein Selbstwertgefühl.« Er umarmte und knuddelte Nicole behutsam.
Weitere Kostenlose Bücher