Rendezvous
Gräfin geziemen, und ich glaube, dass der Earl dich einigermaßen gut behandeln wird. Vielleicht wäre es ratsam, wenn du vor deiner Hochzeit ein oder zwei von Mutters Büchern noch einmal liest.«
Augusta unterdrückte einen Fluch, als ihre Cousine das Schlafzimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. Manchmal konnte es extrem nervenaufreibend sein, in einem Haushalt zu leben, in dem es von Angehörigen des Hampshire-Zweiges ihrer Familie wimmelte.
Es bestand kein Zweifel daran, dass Claudia Graystone eine perfekte Gräfin abgeben würde. Augusta konnte regelrecht hören, wie ihre Cousine dem Earl am Frühstückstisch gegenübersaß und mit ihm über den geplanten Tagesablauf diskutierte. Ich werde den Wünschen meines Herrn selbstverständlich Folge leisten. Die beiden würden sich nach vierzehn Tagen zweifellos zu Tode langweilen.
Aber das war nicht ihr Problem, sagte sich Augusta, als sie vor dem Spiegel stehenblieb. Finster sah sie ihr eigenes Spiegelbild an und stellte fest, dass sie noch keinen Schmuck ausgesucht hatte, um das roséfarbene Kleid damit abzurunden.
Sie öffnete das kleine vergoldete Kästchen auf ihrer Frisierkommode. Darin befanden sich die beiden wertvollsten Dinge, die sie besaß, ein sorgsam zusammengefaltetes Blatt Papier und eine Kette. Auf dem zusammengefalteten Blatt mit den unheilvollen braunen Flecken stand ein eher unerfreuliches kleines Gedicht, das Augustas Bruder kurz vor seinem Tod verfasst hatte.
Die Kette war seit drei Generationen im Besitz der Ballingers. Zuvor hatte sie Augustas Mutter gehört. Die Kette bestand aus zahllosen blutroten Rubinen, zwischen denen winzige Diamanten funkelten. Das Kernstück bildete ein einziger großer Rubin.
Augusta legte sich die Kette um und machte behutsam den Verschluss zu. Sie trug dieses Stück oft. Es war das einzige, was ihr von ihrer Mutter geblieben war. Alles andere war verkauft worden, um Richards kostbares Offizierspatent zu erwerben. Als der große Rubin direkt über dem Spalt zwischen ihren Brüsten lag, trat Augusta wieder ans Fenster und begann, fieberhaft Pläne zu schmieden.
Harry kam kurz nach Mitternacht von seinem Club zurück, schickte seine Dienstboten zu Bett und verzog sich in seine Bibliothek. Der letzte Brief seiner Tochter, in dem sie ausführlich über die Fortschritte, die sie bei ihren Studien machte, und über das Wetter in Dorset berichtete, lag auf dem Schreibtisch.
Harry schenkte sich ein Glas Cognac ein und setzte sich, um den Brief noch einmal durchzulesen, der in einer peinlich genauen Handschrift abgefasst war. Er lächelte in sich hinein. Meredith war neun Jahre alt, und er war außerordentlich stolz auf sie. Sie erwies sich als eine gewissenhafte und fleißige Schülerin, die darauf erpicht war, ihrem Vater Freude zu bereiten und sich gut zu führen.
Harry hatte den Lehrplan für Meredith persönlich erstellt und wachte sorgsam darüber, dass er eingehalten wurde. Frivole Dinge wie Aquarellmalerei und das Lesen von Romanen waren erbarmungslos vom Lehrplan gestrichen worden. In Harrys Augen waren genau diese Dinge schuld an der allgemeinen Flatterhaftigkeit und dem Hang zur Romantik, der für die weibliche Bevölkerung so typisch war. Er wollte nicht, dass Meredith dem ausgesetzt wurde.
Die alltäglichen Unterweisungen waren Merediths Gouvernante überlassen, Clarissa Fleming. Clarissa war eine verarmte Verwandte der Flemings, und Harry empfand es als ein enormes Glück, sie zu seinem Haushalt zählen zu dürfen. Tante Clarissa, die von Natur aus ein ernsthafter Blaustrumpf war, teilte seine Ansichten über Erziehung. Sie war bestens geeignet, Meredith all das beizubringen, was sie Harrys Meinung nach lernen sollte.
Harry legte den Brief hin, trank noch einen Schluck von seinem Cognac und überlegte sich, was seinem klar geregelten Haushalt wohl zustoßen mochte, wenn er ihn Augusta überließ.
Vielleicht hatte er wirklich den Verstand verloren.
In der Dunkelheit vor dem Fenster rührte sich etwas. Stirnrunzelnd blickte Harry auf und sah nichts anderes als Schwärze. Dann hörte er ein leises Rascheln.
Harry seufzte und griff nach seinem edlen schwarzen Spazierstock aus Ebenholz, der immer in seiner Reichweite war. London war nicht der Kontinent, und der Krieg war vorbei, doch die Welt war nie ein ganz und gar friedlicher Ort. Seine Erfahrungen mit der menschlichen Natur sagten ihm, dass sie es wahrscheinlich auch nie sein würde.
Mit dem Stock in der Hand stand er auf und löschte
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