Rendezvous
schwieg weiterhin und aß seinen Pfirsich auf.
»Was ist?« fragte Augusta und bemühte sich, ihre Angst vor seiner Antwort zu verbergen. »Stimmst du mir nicht zu, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass es so gewesen sein könnte?«
»Willst du, dass ich dich belüge, Augusta?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie ballte die Hände zu kleinen Fäusten. »Ich will lediglich, dass du mir darin zustimmst, dass du nicht alles gewusst haben kannst, was sich während des Krieges an Aktivitäten des Geheimdienstes abgespielt hat.«
Harry nickte unwillig. »Also gut. Darin stimme ich dir zu. Niemand hätte alles wissen können. Kriege sind von dichten Nebelschleiern eingehüllt. Die meisten Taten, sowohl auf dem Schlachtfeld als auch woanders, spielen sich in einem grauen Dunst ab. Und wenn sich die Nebelschwaden auflösen, kann man nur noch die Überlebenden zählen. Man kann nie wirklich alles wissen, was sich abgespielt hat, solange alles dunstverhangen war. Vielleicht ist es so am besten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es vieles gibt, das man besser nicht wissen sollte.«
»Zum Beispiel, was mein Bruder eventuell wirklich getan hat?» forderte Augusta ihn erbittert heraus.
»Behalte deinen Bruder so in Erinnerung, wie du ihn gekannt hast, Augusta. Lass den letzten der kühlen, verwegenen und leichtsinnigen Northumberland-Ballingers in deinem Gedächtnis weiterleben, und quäle dich nicht damit herum, was unter der Oberfläche gesteckt haben mag oder auch nicht.«
Augusta reckte das Kinn in die Luft. »In einem Punkt täuschst du dich.«
»Und das wäre?«
»Mein Bruder war nicht der letzte der Northumberland-Ballingers. Ich bin die letzte dieses Familienzweigs.«
Harry setzte sich langsam auf, und in seinen Augen stand eine kühle Warnung. »Du hast jetzt eine neue Familie. Das hast du letzte Nacht in der Ahnengalerie selbst gesagt.«
»Ich habe es mir anders überlegt.« Augusta bedachte ihn mit einem allzu strahlenden Lächeln. »Ich habe beschlossen, dass deine Vorfahren nicht so nett wie meine sind.«
»In dem Punkt hast du zweifellos recht. Niemand hat meine Vorfahren jemals als nett bezeichnet. Aber du bist jetzt die Gräfin von Graystone, und ich werde dafür sorgen, dass du das nicht vergisst.«
Eine Woche später begab sich Augusta in die sonnige Galerie im zweiten Stock und setzte sich auf ein schmales Sofa direkt unter dem Porträt ihrer schönen Vorgängerin. Augusta blickte zu dem täuschend heiteren Bild der früheren Lady Graystone auf.
»Ich werde den Schaden beheben, den du hier angerichtet hast, Catherine«, verkündete sie laut. »Ich mag vielleicht nicht vollkommen sein, aber ich weiß, was Liebe ist, und ich glaube nicht, dass du die Bedeutung dieses Wortes je gekannt hast. Du warst also doch kein solcher Ausbund an Tugendhaftigkeit, stimmt's? Du hast soviel zerstört, als du trügerischen Illusionen nachgejagt bist. So dumm bin ich nicht«, sagte sie mit fester Stimme.
Naserümpfend sah Augusta zu dem Porträt auf, und dann öffnete sie den Brief von ihrer Cousine Claudia.
Meine liebe Augusta, ich verlasse mich darauf, dass es dir und deinem ehrenwerten Gatten gutgeht. Ich muss gestehen, dass du mir hier in der Stadt sehr fehlst. Die Ballsaison nähert sich ihrem Ende, und ohne dich geht es nicht mehr annähernd so lebhaft zu. Wie vereinbart war ich mehrfach bei Pompeia's und habe meine interessanten Besuche bei deiner Freundin Lady Arbuthnott sehr genossen.
Ich muss dir sagen, Lady A. ist eine absolut faszinierende Frau. Ich dachte, die Exzentrizitäten, die man ihr nachsagt, würden mich gewissermaßen abstoßen, aber irgendwie ist dem nicht so. Ich habe meine helle Freude an ihr, und die Schwere ihrer Krankheit betrübt mich.
Den Butler dagegen kann ich nur zutiefst ablehnen. Wenn ich in dieser Angelegenheit ein Wort mitzureden hätte, ich würde ihn nicht für einen einzigen Moment engagieren. Bei jedem meiner Besuche wird er dreister, und ich fürchte, ich werde demnächst gezwungen sein, ihm zu sagen, dass er seine Grenzen überschritten hat. Ich kann mich immer noch nicht des Gefühls erwehren, dass ich ihn kenne.
Zu meinem Erstaunen muss ich zugeben, dass mir Pompeia's gut gefällt und mir sehr viel Spaß macht. Selbstverständlich kann ich gewisse Dinge wie das Wettbuch des Clubs nicht billigen. Wusstest du, dass etliche Mitglieder Wetten darüber abgeschlossen haben, wie lange deine Verlobungszeit dauern wird? Auch halte ich nichts von der ziemlich
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