René Schnitzler. Zockerliga: Ein Fußballprofi Packt Aus
Mönchengladbach, dass sie sich einen Umzug nicht vorstellen könnte. Ihre Mutter allerdings sieht die Pläne durchaus mit Sorgen. Sie mag den Freund ihrer Tochter, aber er ist erst 22 Jahre alt und Sara erst 19. »Dann darf René aber nicht nur an sich selbst denken«, fordert Saras Mutter. »Dann muss er auch Verantwortung für dich übernehmen.« Schnitzler verspricht das und zieht mit Sara an die Elbe.
»Wenn du nach Hamburg gehst, ist das das Ende für dich«, prophezeit ihm Peter Wynhoff, sein früherer Poker-Kumpel und Mannschaftskamerad bei Borussia Mönchengladbach II. Gerd vom Bruch sagt heute, ihm sei damals schon klar gewesen, dass Schnitzler »woanders sein sportliches und privates Leben nicht in den Begriff bekommt«. Thomas Kastenmaier jedoch rät ihm zu. »René fragte mich, ob er das machen solle, und ich habe ihm geantwortet, dass St. Pauli das Sprungbrett seines Lebens sein könne. ›Halt zwei Jahre durch, dann kannst du dir einen Erstligisten aussuchen‹, habe ich ihm gesagt. ›Und halt dich aus dem Nachtleben raus.‹«
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ZWEITE LIGA
Die Strecke von Mönchengladbach nach Hamburg ist für René Schnitzler keine Herausforderung. Einmal, am Silvesterabend 2007, schafft er die Distanz in weniger als zweieinhalb Stunden. Es sind über 400 Kilometer.
Über dem Limit, so beginnt er auch sein Leben in Hamburg. Schnitzler ist erst wenige Tage in der Stadt, als er mit einem anderen Profi des FC St. Pauli die Abendveranstaltung eines Fanklubs besucht. Bei Bier und viel braunweißer Folklore stellt er sich im Alten Schlachthof an der Feldstraße dem Anhang vor und steckt in lockerem Frage-Antwort-Spiel die Ziele für die kommende Saison ab. Wenn es gut laufe, warum solle man dann nicht oben mitspielen können? Der neue Stürmer gibt sich zuversichtlich. Zweifeln und hadern können andere besser.
Bald bemerkt Schnitzler, wie ein anderer neuer Mitspieler mit einer Frau flirtet. Mitte 30 ist sie und nicht unattraktiv. »Da geht was«, flüstert der Mannschaftskollege und macht Schnitzler zu seinem Komplizen. Schnitzler grinst. Er ist ja mit Sara in Hamburg und hält eigentlich wenig von Abenteuern in der großen und noch fremden Stadt. Aber er ist auch neugierig – und muss nicht lange überredet werden. Ein Stündchen später fahren sie zu dritt in den schicken Stadtteil Eppendorf, wo die Frau vom Fan-Abend in einer Dachgeschosswohnung wohnt. Sie zieht sich dann erst mal aus, stellt ihren Körper zur Schau und baut sich nebenbei einen Joint. »Im Kühlschrank steht Bier«, hört Schnitzler sie sagen. Er sitzt nur da auf der Couch, lehnt sich zurück, während sein Mitspieler und die Frau loslegen. Zwischendurch wickelt die Gastgeberin
noch einen Joint, ob zur Entspannung oder zur Inspiration, erschließt sich Schnitzler nicht. Er ist noch Nichtraucher, die Dunstwolken, die durchs Zimmer wabern, machen ihn nicht high, aber offenbar müde. Irgendwann jedoch wird Schnitzler hellwach: »Was mach ich hier eigentlich?«, fragt er sich. »Ich kenn die doch beide gar nicht!«
Schnitzler lässt das Bier stehen, hastet die Treppe hinunter nach draußen. »Das fängt ja richtig gut an«, denkt er, steigt in ein Taxi und nennt dem Fahrer seine neue Adresse.
Abgebrüht und abgezockt, im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle: Dieses Image von sich selbst gefällt ihm. Schnitzler versucht, sich auch außerhalb des Rasens so zu geben. Aber er ist längst nicht so selbstbewusst und so kaltblütig wie vor dem Tor. Als er sich entschlossen hat, nach Hamburg zu gehen, hatte er kaum Vorstellungen von dem, was ihn dort erwartet.
Sara arbeitet zunächst als Verkäuferin in einem Bekleidungshaus in der Innenstadt, im Herbst 2008 beginnt sie ein Studium, Technische Betriebswirtschaftslehre mit der Fachrichtung Marketing. Seine Freundin ist jung, aber nicht unvernünftig. Sie könnte ihrem labilen, leicht zu beeinflussenden Freund Halt geben. Das zumindest hofft Familie Schnitzler. Damals ahnt Sara noch nicht, dass sie an dieser Aufgabe verzweifeln wird. Wenn sie heute davon erzählt, schafft sie es nicht, die Tränen zurück zu halten. Die letzten Jahre haben ihr viel abverlangt.
René Schnitzler lebt sein Leben unterdessen auch in Hamburg auf streng spontane Weise – er konzentriert sich auf den nächsten Augenblick. Dass jeder Tag viele Momente hat, die sich nicht um Fußball drehen, dass er ungeheuer viele Reize empfängt und denen längst nicht immer widerstehen kann, das steht dem Neustart, den er
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