Renegade
Schlafen zu. Er sieht aus wie ein kleiner
Junge, der einen schönen Traum hat. Na ja, abgesehen von dem Bartschatten auf
seinen Wangen.
Lächelnd denke ich
an die vergangene Nacht. Nachdem er mir mit seinen Küssen den Verstand geraubt
hat, überwältigte mich die Müdigkeit. Anscheinend bin ich in seinen Armen
eingeschlafen. Noch nie hat mir jemand so viel Trost gespendet.
Zögernd streiche ich
ihm eine Strähne aus der Stirn. Sofort reiÃt er die Augen auf und sieht mich
alarmiert an, doch als er mein Gesicht erkennt, klärt sich sein Blick und er
lächelt. »Wir sind wohl eingeschlafen«, stellt er mit rauer Stimme fest.
Mein Bauch beginnt
freudig zu kribbeln. »Sieht ganz so aus.« Obwohl ich nicht weiÃ, welche Uhrzeit
wir haben, füge ich noch hinzu: »Guten Morgen.«
Gavin beugt sich vor
und küsst mich, nur ein sanfter Hauch auf meinen Lippen. Als er sich
zurückzieht, wirkt er wieder besorgt. »Wie geht es dir?«
Damit meint er
sicher nicht meinen Gesundheitszustand. Er will wissen, wie ich mit Macies Tod
zurechtkomme. Und genau daran will ich mich nicht erinnern. Also rolle ich mich
auf den Rücken und starre an die Decke. »Es ist schwer. Zu wissen, dass ich nie
wieder ihre Stimme hören werde. Aber du hattest recht. Es war nicht meine
Schuld.« Mein Körper verkrampft sich, und mit harter Stimme fahre ich fort:
»Und ich schwöre, dass Mutter dafür büÃen wird. Was auch geschieht, sie wird
dafür bezahlen, dass sie mir Macie genommen hat.«
Gavin sieht mich
durchdringend an. »Ich weiÃ, wie du dich fühlst, Evie. Aber deswegen darfst du
nicht dein Leben aufs Spiel setzen, das ist es nicht wert.« Achselzuckend
weiche ich seinem Blick aus. Daraufhin umschlieÃt er mein Gesicht mit den
Händen und zwingt mich, ihn wieder anzusehen. »Mach keine Dummheiten, Evie. Ich
habe dich gerade erst gefunden, da darf ich dich nicht sofort wieder verlieren.
Ich brauche dich. Wir brauchen einander.«
»Mich gefunden? Wann
hast du denn nach mir gesucht?« Meine Stimme klingt immer noch hart, härter als
beabsichtigt, also versuche ich, meine Worte mit einem Lachen abzumildern, aber
Gavin scheint es egal zu sein, welchen Ton ich anschlage.
»Ich wusste nicht,
dass ich auf der Suche war, bis ich dich gefunden habe«, erklärt er mir ernst.
Dabei sieht er mir tief in die Augen und streichelt mit den Daumen meine
Wangen. Mein Herz macht einen Satz, und mir bleibt die Luft weg, doch ich sage
nichts.
»Versprich mir, dass
du keine Dummheiten machen wirst.« Als ich weiter schweige, schüttelt er mich
sanft. »Versprich es mir!«
Seufzend gebe ich
nach. »Also gut, ich verspreche es.«
Noch eine ganze
Weile mustert er mich eindringlich, dann lächelt er wieder und gibt mir einen
Kuss. Da ich leicht verärgert darüber bin, dass er mir dieses Versprechen
abgerungen hat, erwidere ich den Kuss nicht, doch er gibt nicht auf. Er ändert
einfach seine Taktik, und schon bin ich wieder atemlos. Wenig später gebe ich
auf und schmiege mich an ihn.
Wir schrecken beide
auf, als plötzlich aus dem Lautsprecher an der Decke Mutters Stimme erklingt:
»Achtung, Achtung, Bürger von Elysium: Das Freudenfest wird mit sofortiger
Wirkung abgesagt.«
Verwirrt sehen wir
uns an. Was hat sie nun vor?
»Mir ist bewusst,
dass ihr euch alle nach dem Grund dafür fragt. Und zu meinem tiefsten Bedauern
muss ich euch mitteilen, dass zum ersten Mal in der Geschichte unserer Stadt â¦
ein Mord verübt wurde.« Sie macht eine Pause â allerdings geht es dabei nur um
den dramatischen Effekt und nicht darum, dass die Leute diese Neuigkeit
verarbeiten können.
Gavin flüstert mir
ins Ohr: »Was redet sie denn da? Sie ermordet doch ständig irgendwelche Leute.«
»Ja, aber das ist
eine offizielle Form der Bestrafung. Die Leute betrachten es nicht als Mord.
AuÃerdem ist den meisten gar nicht bewusst, was mit den Delinquenten geschieht,
wenn sie ihre Strafe erhalten. Für sie verschwinden diese Menschen einfach.«
»Und keiner fragt,
wohin?«, hakt er ungläubig nach.
Nachdenklich neige
ich den Kopf. »Würdest du es denn wagen?« Er setzt zu einer Antwort an,
schweigt dann aber.
Mutter fährt fort:
»Zu meinem gröÃten Entsetzen hat es den Anschein, als handele es sich bei dem
Mörder um meine eigene Tochter, Evelyn.« Wieder eine Pause, aber diesmal
Weitere Kostenlose Bücher