Renegade
nicht vor, mich noch
einmal aus den Augen zu lassen.
Meine Ahnung erweist
sich als korrekt. Während die Dienstmädchen mein Haar glätten und frisieren,
getönte Cremes, Tonics und Puder auf mein Gesicht auftragen und meine Nägel auf
Hochglanz bringen, steht Mutter die ganze Zeit daneben und behält mich scharf
im Auge. Doch ich blicke nur durch das Fenster in den Ozean hinaus und
versuche, mich zu beruhigen, indem ich die einzelnen Fische eines Schwarms
zähle. SchlieÃlich hilft Mutter mir, das Outfit anzulegen, das ich bei der
Verpaarung tragen werde. Es handelt sich dabei eher um Unterwäsche als um ein
richtiges Kleid â und wäre bei einem Dinner vollkommen unangebracht, für eine
Verführungsszene eignet es sich aber perfekt. Es ist schwarz. Und es wird all
seine Erwartungen erfüllen, behauptet Mutter.
Verunsichert mustere
ich mich im Spiegel. In mir toben so viele Gefühle, dass es schwierig ist, sie
voneinander zu unterscheiden. Aber ich denke, die Scham überwiegt.
Mutter schnürt das
seltsame Ding so eng, dass ich kaum noch Luft bekomme, aber dadurch könnte man
tatsächlich meinen, ich hätte Hüften. Obwohl ich technisch gesehen zur
Fortpflanzung gedacht bin, ähnelt mein Körperbau eher dem einer Vollstreckerin:
viele Muskeln, keine Kurven. Dieses Ding bedeckt kaum meine Oberschenkel. Eine
falsche Bewegung, und man wird alles sehen können. Ich hätte nicht gedacht, dass
es mich so nervös machen würde, ein derart freizügiges Outfit zu tragen. Mit
dem Make-up und der wilden Frisur sehe ich einfach umwerfend aus. Sexy. Die
verruchte Verführerin. Mutter sagt, genau das müsse einem Oberflächenbewohner
gefallen. Trotzdem kommt mir immer wieder der Gedanke, wie froh ich bin, dass
niemand auÃer ihm mich so sehen wird.
Wir sind gerade
fertig geworden, als es an der Tür klopft.
»Was ist denn? Ich
sagte doch, wir wollen nicht gestört werden!«, ruft Mutter.
Vorsichtig streckt
ein Dienstmädchen den Kopf ins Zimmer. »Es gibt Probleme in Drei, Mylady.«
Bei der Erwähnung
von Sektor Drei kribbelt es in meinem Bauch. Ich habe keine Ahnung, warum das
so ist, achte aber darauf, mir vor Mutter nichts anmerken zu lassen. Mit
finsterer Miene wendet Mutter sich wieder mir zu und zupft mein Outfit zurecht.
»Veronica soll sich darum kümmern. Das ist schlieÃlich ihre Aufgabe.«
Aus dem Kribbeln
wird ein Schaudern. Ich hasse die Vollstreckerinnen, und Veronica ist mir ganz
besonders unheimlich. Sie beobachtet mich immer viel zu aufmerksam, auÃerdem
habe ich das Gefühl, dass sie sich hinter meinem Rücken über mich lustig macht.
Das Dienstmädchen
nickt und schlieÃt die Tür hinter sich, doch bevor Mutter noch etwas zu mir
sagen kann, klopft es schon wieder. Diesmal ist es Mutters persönliche
Dienerin, die hereinkommt und ihr etwas ins Ohr flüstert. AnschlieÃend zieht
sie sich wieder zurück, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Abrupt steht
Mutter auf und erklärt mir, ich könne nun eine Weile für mich sein, um mich
mental auf meine Verpaarung vorzubereiten. Zuerst bin ich erleichtert, endlich
allein zu sein, doch dann melden sich meine Instinkte zu Wort: Warum ist Mutter
nun doch gegangen? Sie war doch so besorgt, dass ich einen Rückzieher machen
könnte. Da sollte man meinen, dass sie bei mir bleibt, um zu verhindern, dass
ich kalte FüÃe bekomme, oder? Was auch immer sie dazu gebracht hat, zu gehen â
es hat irgendetwas mit mir zu tun. Ich weià es einfach. Ich muss herausfinden,
was es ist.
Vorsichtig trete ich
auf den Gang hinaus. Hoffentlich gelingt es mir, Mutter schnell und lautlos
aufzuspüren. Und tatsächlich dauert es nicht lange: Als ich auf Höhe der
Bibliothek bin, höre ich, wie Mutter meinen Namen ausspricht. Verstohlen
schiebe ich mich näher an die Tür heran, um sie besser belauschen zu können.
Dabei setze ich langsam einen Fuà vor den anderen, damit meine Absätze mich
nicht verraten.
»Evelyn hat sich
entschieden, und ich habe eine Vereinbarung mit ihr. Es tut mir leid, dass die
Wahl nicht auf dich gefallen ist«, sagt Mutter gerade.
»Ich bezweifle
allerdings, dass sie diese Entscheidung selbst getroffen hat, Mylady.« Eine
Männerstimme, die erstaunliche Ãhnlichkeit mit der des jungen Wachmanns hat.
»Wie kommst du
darauf?«
»Warum sollte sie
einen Oberflächenbewohner erwählen? Er
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