Renegade
bleibt ausdruckslos. »Nein«, antworte ich schlieÃlich. »Und selbst
wenn, werde ich dir trotzdem bei deiner Flucht helfen.«
Gavin runzelt die
Stirn. »Und was ist mit dir?«
»Was soll mit mir
sein?«
»Kommst du nicht
mit?«
»Natürlich nicht.
Warum sollte ich gehen? Hier ist mein Zuhause. Ich werde nur dafür sorgen, dass
du zu der Tür zurückkommst, die zur Oberfläche führt. Deine Verletzungen sind
verheilt, du solltest also problemlos rauskommen.«
»Aber was ist mit
den Vollstreckerinnen? Werden die dich nicht umbringen, wenn du mir hilfst?«
Mir läuft ein kalter
Schauer über den Rücken, doch ich sage: »Ich bin die Tochter des Volkes. Mutter
wird niemals zulassen, dass das passiert.«
Gavin scheint nicht
überzeugt zu sein. »Ich würde mich wohler fühlen, wenn du mitkommst.«
»Wenn du dir
wirklich solche Sorgen um mich machst, solltest du nicht länger mit mir
diskutieren. Die Zeit läuft, und je schneller du verschwindest, desto geringer
ist das Risiko, dass jemand es herausfindet.«
»Aber die Wachen
haben dich doch gesehen.«
»Wem wird Mutter
wohl glauben? Den Wachen oder ihrer eigenen Tochter? Und jetzt komm !«
»Na schön, aber das
Thema ist noch nicht vom Tisch.« Ich unterdrücke den Impuls, genervt die Augen
zu verdrehen. »Dann sind wir jetzt also auf der Flucht, was?«, fragt er dann.
»Richtig.«
»Super.« Damit packt
Gavin mich am Arm, wirbelt mich herum und schiebt mich mit seinem Körper gegen
die Wand. Ich will protestieren, doch da drückt er seine Lippen auf meine. Im
ersten Moment erstarre ich vor Schreck â das wird bestimmt eine schwere Strafe
nach sich ziehen! Krampfhaft versuche ich, mich von ihm zu lösen, aber da ist
sein Duft, und er schmeckt so gut ⦠ich lasse mich fallen. Hätte er mich nicht
festgehalten, wäre ich vor seinen FüÃen zusammengesunken. Seine Lippen sind
weich, aber fordernd. Der Kuss macht mich ganz schwindelig â und ich kann mir
nicht vorstellen, dass es einen besseren ersten Kuss geben könnte.
Urplötzlich taucht
eine Erinnerung in mir auf: ein anderer, ebenso dunkler Korridor. Andere
Lippen, die sich auf meine drücken. Gavins Geruch vermischt sich mit dieser
Erinnerung, und einen Moment lang bin ich verwirrt. Und verängstigt. Etwas
Schreckliches wird passieren. Oder vielleicht ist es auch schon passiert. Bevor
ich einen klaren Gedanken fassen kann, macht Gavin eine sanfte Bewegung, und
das Gefühl von seiner Haut auf meiner verdrängt die Erinnerung â es gibt nur
noch ihn, alles andere ist vergessen. Dieses eine Mal bin ich dankbar dafür,
dass mein Erinnerungsvermögen so eingeschränkt ist. Ich will mehr! Doch genau
in diesem Moment zieht er sich ein kleines Stück zurück, sodass unsere Lippen
sich voneinander lösen.
»Ich wäre dazu
bereit gewesen«, flüstert er und tritt zurück.
Ich kann nur nicken.
Benommen schiebe ich meinen Rucksack zurecht. Ich habe keine Zeit, jetzt
darüber nachzudenken, also drehe ich mich einfach um â und renne ungebremst
gegen die Wand.
Aua! Ich schüttele den Kopf, um meine
Gedanken zu klären. Mit einem leisen Lachen dreht Gavin mich so um, dass ich in
die richtige Richtung sehe. »Ich glaube, wir müssen da entlang«, stichelt er.
Zuerst fühle ich
mich beschämt, dann werde ich wütend und kann endlich wieder klar denken.
»Alles okay.« Ich marschiere wieder los, weiter Richtung Palasttrakt. »Meinst
du, du kannst dich an den Weg zu der Tür erinnern, wenn ich dich in meinen
Garten bringe?«
Gavin wird ernst und
sachlich. »Ja.«
Ich versuche, nicht
mehr an den Kuss zu denken, aber die Szene läuft wieder und wieder vor meinem
inneren Auge ab, sodass ich mich unmöglich konzentrieren kann. Ich werfe Gavin
einen verstohlenen Blick zu und lege vorsichtig einen Finger an den Mund. An
seinem klebt noch ein Rest des roten Lippenstifts ⦠Während es in meinem Bauch
erneut zu kribbeln beginnt, trete ich auf eine rutschige Treppenstufe und
verliere das Gleichgewicht. Gavin packt mich schnell um den Bauch und
verhindert so, dass ich kopfüber auf den Stufen lande. Mit einer schnellen
Bewegung dreht er mich um. Sein Gesicht schwebt so dicht vor mir, dass ich den
Pulsschlag an seinem Hals sehen kann. Sein Blick ist eindeutig, und mein Körper
reagiert entsprechend. Doch bevor mehr
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