Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
geschehen sollte und … nein, da mache ich nicht mit.” Erregt sprang sie auf und stellte sich, beide Hände in die Hüften gestützt, Ilse in den Weg. „Du scheinst vergessen zu haben, dass die meisten aus unserem Verein sich nur im Westpark aufhalten, weil sie es für relativ ungefährlich halten – und auch das nur widerwillig. Wenn sie erfahren, dass sie damit rechnen müssen, einer geistesgestörten Mörderin zu begegnen, werden sie kneifen. Und zu Recht. Soll die Polizei das übernehmen. Die ist dafür ausgebildet. Und wird dafür bezahlt.”
Ilse konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
„Ali, meinst du nicht auch, wir sollten zunächst selbst versuchen …?” Ilse ließ das Ende des Satzes hoffnungsvoll in der Luft hängen. Schließlich war alle Initiative von Ali ausgegangen. Sie hatte Helga überredet, sie hatte Mütter, Nachbarn und Prostituierte besucht und ausgefragt. Ali lehnte, den Kalender noch immer in der Hand, unschlüssig am Schrank. „Wenn ich mir vorstelle, dass diese Verrückte sich Veronika oder Franziska aussuchen würde, wäre mir die Anwesenheit der Polizei wesentlich lieber als … tut mir Leid, Ilse.”
Anscheinend hatte Ilse tatsächlich gehofft, den Fall mit Hilfe der Sportkollegen zu lösen und die Mörderin zu fassen. Resigniert ließ sie die Schultern hängen. „Wenn ihr meint, obwohl …” So ganz war sie noch nicht zur Aufgabe bereit, wurde jedoch rücksichtslos von Helga abgewürgt: „Nichts da. Ich halte gerne Augen und Ohren offen. Aber das hier geht zu weit. Außerdem gefährden wir das Leben eines Kindes, und falls wir versagen, haben wir es auf dem Gewissen. Damit möchte ich nicht leben. Nein, auf keinen Fall!”
„Also gut, aber wir sollten unsere Sportkollegen trotzdem informieren, vielleicht sind ja doch einige daran interessiert, sich im Park aufzuhalten, zusätzlich zu den Polizeistreifen. Da wir keine verwahrlosten Kinder sind, kann uns doch nichts passieren.”
Helga verzog ergeben ihr Gesicht. Ilse gab nie auf. Selbst Ali musste grinsen.
„Vermutlich hat die Polizei die Zusammenhänge inzwischen auch herausgefunden. Doch niemand kann uns verbieten, beim nächsten Vollmond im Westpark spazieren zu gehen.”
25
Ausnahmsweise schenkte Helga der Konferenz dieses Mal ihre volle Aufmerksamkeit. Ungeduldig wartete sie auf den Punkt ›Verschiedenes‹. Die meisten Kolleginnen wussten inzwischen von der Erpressung und empfanden es als selbstverständlich, für Angela Steinhofer einzutreten, falls Rektor Raesfeld Schwierigkeiten bereiten sollte. Probleme könnte es höchstens mit den älteren Lehrerinnen geben, überlegte Helga. Frau Schnoor gehörte zu den Erzkonservativen. Jeder Neuerung widersetzte sie sich, solange sie konnte. Junge Kolleginnen wurden misstrauisch beobachtet, ob die Schüler bei ihnen denn auch etwas lernten. Manchmal glaubte Helga, der Unterricht der Älteren habe sich in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren kaum verändert. Sie benutzte weder die neu angeschafften Bücher noch die vielen anderen modernen Lehr-und Lernmittel. Ob Frau Schnoor einer lesbischen Kollegin gegenüber tolerant und unvoreingenommen sein würde, erschien mehr als zweifelhaft.
Frau Stellmann zählte ebenfalls zu den älteren Jahrgängen, und auch sie erweckte den Eindruck, verschlossen und ungesellig zu sein. Doch lag es bei ihr vielleicht daran, dass sie viele schwierige Kinder in ihrer Klasse hatte und nicht bereit war, sich mit Problemen zu beschäftigen, die sie nicht direkt betrafen.
Gemeinsam mit Elli Goppel sollte es jedoch gelingen, jegliche Vorbehalte Angela gegenüber abzuwehren. Die meisten Kolleginnen mochten Angela, da diese sich stets loyal und hilfsbereit zeigte, zwar nicht so offensichtlich und übermäßig wie Beate, aber doch so, dass jeder ihre Verlässlichkeit kannte. Sie meisterte Schwierigkeiten mit Eltern und Kindern stets allein und ohne zu klagen, was man von vielen anderen nicht behaupten konnte.
Endlich, der letzte Punkt der Tagesordnung. Angela wirkte angespannt und müde zugleich. Ihre Mundwinkel zuckten, und das schmale Gesicht zeigte neue Linien. Die Hände verschränkte sie so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. Helga empfand plötzlich Mitleid. Die letzten Wochen, insbesondere die Zeit vor der Konferenz, mussten schlimm für sie und ihre Freundin gewesen sein. Nun, das alles würde gleich ein Ende haben. Rektor Raesfeld wiederholte bereits die üblichen Ermahnungen die Aufsichtspflicht betreffend,
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