Renner & Kersting 03 - Mordsgier
verschmitztes Lächeln, ihre kindliche Erregung, ihren vor unterdrücktem Gelächter bebenden Tonfall, wenn sie ein neues Argument gefunden zu haben glaubte.
Vorsorglich vermied er jede Anspielung auf den Fall Wohlfang. Und auch sie äußerte sich nicht dazu. Was ihn nur wenig beruhigte.
Obwohl sie ausgeruht und mit sich und der Welt zufrieden in die Schule gefahren war, hatten Schüler und deren Mütter sie geschafft. Heute war es Verena gewesen, die rotzfrech erklärt hatte: »Die Hausaufgaben habe ich nicht gemacht. Mama hat gesagt, das brauche ich nicht, das wäre alles viel zu viel!« Und Florian war gegangen. Einfach so. »Meine Mutter hat gesagt, ich soll nach der vierten Stunde nach Haus kommen, wir müssen noch wo hin.« Als sie sich weigerte, ihn gehen zu lassen, verschwand er während der Pause klammheimlich vom Schulhof. Erst wollte sie die Polizei benachrichtigen, dann siegte die Vernunft, und sie rief bei Florian an. Nein, behauptete die Mutter, so etwas hätte sie natürlich niemals gesagt, aber da Florian nun einmal daheim war, lohne es doch nicht, ihn für zwei Stunden zurück zur Schule zu schicken. Werte wie Disziplin, Höflichkeit, Respekt vor dem anderen und die Einsicht, dass jeder sich in einer Gemeinschaft einfügen muss waren der Mutter offensichtlich ebenso unbekannt wie ihrem Sohn.
Jedenfalls, an diesem Nachmittag besaß sie überhaupt keinen Nerv, irgendetwas für die Schule zu tun. Sie beschloss, die Vorbereitungen für morgen auf das Notwendigste zu beschränken und in die Sauna zu fahren. Am besten nach Lüdenscheid. Dort kannte sie keiner, und es gab ein vielfältiges Angebot unterschiedlicher Saunen.
So früh war es noch angenehm leer. Als sie die Zeitschriften durchblätterte, sie waren schon etwas älter, fand sie mehrere Berichte über Hubertus Selbecke, seine Ämter in diversen Aufsichtsräten und Vorständen, die doch sehr plötzliche Heirat mit einer schönen Unbekannten und ihren gemeinsamen tragischen Tod. Für diesen prominenten Bürger hatte Helga sich bisher nur im Zusammenhang mit Wohlfang und dem Unfall interessiert. Sie hatte nicht geahnt, dass er so vermögend und vor allem so bekannt war. Es gab Fotos von der Hochzeit, vom Besuch des Wiener Opernballs, vom Unfallort und von seinem Haus in Eilpe. Ein Artikel erwähnte Gerüchte, denen zufolge er homosexuell gewesen sein sollte und nur geheiratet habe, um einen Erben für sein Imperium zu bekommen. Er musste ebenso wie die anderen Männer der Freundesclique Anfang fünfzig gewesen sein und die Ehefrau, den Bildern nach zu schließen, Mitte bis Ende zwanzig. Hatte Anna nicht erzählt, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt?
»Kannten Sie den?«, fragte eine Stimme hinter ihr. Helga fuhr leicht erschrocken herum. Eine ältere Frau, die sie schon häufiger hier getroffen hatte, wies mit dem Kopf auf den Artikel. »Was nützt ihm sein vieles Geld? Das letzte Hemd hat nun mal keine Taschen.«
»Hm.«
»Und einen Erben hat er auch nicht mehr zeugen können«, fügte sie leicht hämisch hinzu.
»Möchten Sie die Zeitung?« Helga stand der Sinn nicht nach Unterhaltung. Sie wollte Ruhe. »Ich begebe mich in den Kochtopf.« Damit drückte sie der anderen die Illustrierte in die Hand und schlenderte zur Dampfsauna hinüber. Während sich Schweißperlen bildeten und langsam über Gesicht und Körper flossen, überdachte sie, was sie von Selbecke wusste. Ein interessanter Mann, aber da für ihren Mordfall unwichtig, hatte sie nicht wirklich Acht gegeben, als Anna und Käthe über ihn sprachen. Die Artikel in den Magazinen betonten seine hemdsärmelige Art – anfangs hatte er sich nicht gescheut, selbst mit anzufassen, um den Betrieb hochzubringen – und berichteten voller Bewunderung von diesem Selfmade-Millionär. Und Julia, seine junge Frau? Hatte sie ihn aus Liebe oder Berechnung geheiratet? So alt, dass sie in absehbarer Zeit mit dem Erbe rechnen konnte, war er nun auch nicht gewesen. Helga wurde in ihren Gedanken gestört, als gleich mehrere Männer hereinkamen und ein lautstarkes Gespräch begannen. Da ihr allmählich heiß wurde, verließ sie den kleinen Raum und flüchtete wieder einmal vor unerwünschter Unterhaltung. Dieses Mal in den Ruheraum.
Nach vier Saunagängen fühlte sie sich entspannt und angenehm müde. Den Abend wollte sie mit einer Kanne Earl Grey auf dem Sofa vor dem Fernseher verbringen.
Sie verließ gerade den Fahrstuhl, als sie auch schon ihr Telefon klingeln hörte. Teils neugierig,
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