Replay - Das zweite Spiel
Huchette war ein Pariser Jazzkeller der klassischen Art, ein Verlies mit Steinwänden und einer Musik, die ebenso verraucht und stechend war wie die Zigaretten, von denen jeder hier zu leben schien. Im Unterschied zu den neueren Discotheques würde dieser Stil niemals in den Staaten Fuß fassen können.
Mireille, Jean-Claudes zierliche rothaarige Freundin, lächelte träge. »C’est dommage«, sagte sie. »Die Schwarzen, niemand liebt sie in ihrem Heimatland, deshalb müssen sie hierher kommen, um ihre Musik zu spielen.«
Jeff machte eine nichtssagende Handbewegung und schenkte sich ein weiteres Glas Rotwein ein. Die Rassenunruhen in Amerika waren in Frankreich im Moment ein Hauptgesprächsthema, doch er wollte sich nicht in diese Diskussion hineinziehen lassen. Nichts Ernsthaftes, nichts, das ihn zum Nachdenken oder Sicherinnern bringen könnte, interessierte ihn derzeit.
»Du müssen l'Afrique besuchen«, sagte Mireille. »Es dort gibt viel Schönheit, viel zu verstehen.«
Sie und Jean-Claude waren kürzlich von einem einmonatigen Aufenthalt in Marokko zurückgekehrt. Frankreichs noch nicht lange zurückliegendes Debakel in Algerien ließ Jeff freundlicherweise unerwähnt.
»Attention, attention, s’il vous plait!« Der Besitzer des Clubs stand auf der kleinen Bühne, eng ans Mikrofon gelehnt. »Mesdames et messieurs, copains et copins … Le Caveau de la Huchette a le plaisir extraordinaire de vous présenter heißen Blues … avec le maitre du Blues, personne d’autre que - Monsieur Sidney … Bechet!«
Es wurde wild applaudiert, als der alte Exilmusiker mit der Klarinette in der Hand die Bühne betrat. Er legte mit einer starken Nummer los, ›Blues in the Cave‹, und machte weiter mit einer gefühlvoll-erotischen Version von ›Frankie and Jonny‹. Sharla fuhr mit ihrem Solotanz in der Ecke fort, ihr Körper vom inneren Drängen der Musik in wellenförmige Bewegung versetzt. Jeff leerte die Weinflasche und winkte nach einer neuen.
Der alte Bluesmann grinste und nickte, als das zweite Stück geendet hatte und die jugendlichen Zuhörer ihre Begeisterung über die fremdartige Kunstform aus sich herausbrüllten. »Mercy, mercy, mercy!«, rief Bechet. »Mon frangais n’est pas tres bon«, sagte er mit breitem schwarzamerikanischem Akzent, »deshalb muss ich’s auf meine Art sagen, ihr könnt mir glauben, ihr wisst Bescheid über den Blues. You heah me?«
Wenigstens die Hälfte des Publikums verstand genug Englisch, um begeistert zu antworten. »Mais oui !«, jubelten sie. »Bien sûr !« Jeff stürzte das Glas Wein hinunter, wartete darauf, dass die Musik ihn wieder hinwegtrug, alle Erinnerungen auslöschte.
»Well, all right«, sagte Bechet auf der Bühne, das Mundstück seiner Klarinette reinigend. »Also, das nächste Stück handelt davon, worum’s beim Blues hauptsächlich geht. Es gibt ’ne Menge Blues für Leute, die nie was besessen haben, wisst ihr, und das is ’n trauriger Blues … aber die traurigste Sorte Blues is für die, wo alles hatten, was sie nur wollten, und es verloren haben und wissen, sie kriegen’s nicht mehr wieder. Gibt keinen Schmerz auf der Welt, der schlimmer wär. Und diesen Blues nennen wir ›Ich hatt’ es, aber jetzt is alles futsch‹.«
Die Musik setzte ein, kehlige Laute von Vergeblichkeit und Bedauern in einer Molltonart. Unwiderstehlich, unerträglich. Jeff rutschte auf dem Stuhl herum, versuchte die Klänge auszulöschen. Er griff nach seinem Glas, verschüttete Wein.
»Magst du?«, fragte Mireille und berührte ihn an der Schulter. Jeff versuchte zu antworten, aber schaffte es nicht.
»Allons-y«, sagte sie und zog ihn in dem verrauchten Nachtclub auf die Beine. »Wir gehen nach draußen, etwas Luft schnappen.«
Ein leichter Nieselregen fiel, als sie auf die Rue de la Huchette hinaustraten. Jeff hob das Gesicht in den kühlen Regen, ließ ihn über seine Stirn rinnen. Mireille legte ihre schmale Hand auf seine Wange.
»Musik kann wehtun«, sagte sie sanft.
»Mhm.«
»Nicht gut. Besser man … comment diton ›oublier‹?«
»Vergessen.«
»Yeah.«
»Oui, c’est ga. Besser man vergessen.«
»Yeah.«
»Eine Zeit lang.«
»Eine Zeit lang«, stimmte er zu, und sie machten sich auf den Weg Richtung Boulevard Michel, um ein Taxi aufzutreiben.
Im Wohnzimmer von Jeffs Apartment in der Avenue Foch angelangt, füllte Mireille eine kleine Pfeife mit krümeligem braunem Haschisch und einer entsprechenden Menge Opium. Sie setzte sich neben ihn auf den
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