Replay - Das zweite Spiel
physischer Gewalt. Von allen Menschen, die er in seinen vielen Leben gekannt hatte, hatte er einzig bei Mireille einen Ansatz von Mitgefühl und Verständnis gefunden, der ihn dazu gebracht hatte, sein Geheimnis mit ihr zu teilen. Er hatte geglaubt, sie würde kein Urteil fällen über das, was er ihr sagte, würde es als vertraulich behandeln …
»Warum?« Seine Stimme krächzte. »Warum hat sie es dir erzählt?«
»Weil sie es lustig fand. Alle taten wir das, alle, die wir in Paris kannten, haben monatelang hinter deinem Rücken gelacht.«
Er barg den Kopf in den Händen, versuchte die Implikationen des Gesagten zu begreifen. »Ich habe Mireille vertraut«, sagte er leise.
Sharla schnaubte höhnisch. »Klar, dein kleiner Spezi, haha. Ich hab’s zuerst mit ihr gemacht, weißt du. Wer, glaubst du, hat ihr wohl gesagt, sie solle mit dir ins Bett gehen, dich aus der blöden trübseligen Stimmung rausholen, die du die halbe Zeit über hattest? Du fingst an, mir auf den Geist zu gehen. Ich wollte einfach meinen Spaß haben und gebumst werden. Mireille hätte sich auch von einem Affen ficken lassen, wenn Claude oder ich es ihr gesagt hätten. Warst du nicht ein richtiger Glückspilz?«
Eine Frauenstimme rief ihren Flug auf. Jeff bewegte sich mit ungläubiger Benommenheit zum Flugsteig, neben sich Sharla, deren Gesicht ein kleinliches, befriedigtes Lächeln zeigte. Ihre Plätze lagen auf der rechten Seite der noch neuen Boeing 707, unmittelbar hinter der Tragfläche. Schweigend verstauten sie ihr Bordgepäck und legten die Sicherheitsgurte an. Eine Stewardess kam vorbei, bot Süßigkeiten und Kaugummi an; Jeff lehnte schweigend ab. Sharla nahm ein orangefarbenes Bonbon, das sie mit Behagen lutschte.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren, und willkommen an Bord des Fluges 843 der Pan American Airways von San Francisco nach Honolulu. Ihr Pilot ist Captain Charles Kimes, und bei ihm im Cockpit sind der Erste Offizier Fred Miller, der Zweite Offizier Max Webb und Flugingenieur Pitch Robertson. Unsere Flughöhe wird annähernd …«
Jeff starrte durch das Fenster auf die triste graue Rollbahn hinaus, die langsam vorüberzog.
In Wahrheit hatte er es sich selbst zuzuschreiben. Er hatte den Ton für diese unbedachte, genusssüchtige Wiederholung vorgegeben, als er eigens zu dem Zweck, Sharla ausfindig zu machen, nach Las Vegas gefahren war.
»… servieren wir den Lunch ungefähr dreißig Minuten nach dem Start. Bitte beachten Sie in Ihrem eigenen Interesse die Schilder »Nicht Rauchen‹ und ›Bitte Anschnallen‹, wenn diese auf leuchten …«
Was sollte er jetzt empfinden - Zorn, Niedergeschlagenheit? Keine von beiden Emotionen würde ihm irgendetwas nützen. Offenbar hatte niemand - nicht einmal Mireille - geglaubt, was er ihr in St. Tropez erzählt hatte. Wenigstens bedeutete die Täuschung, die sie und Sharla begangen hatten, keinerlei Gefahr für ihn; sie machte ihn lediglich noch einsamer, als er es bereits gewesen war.
Das Flugzeug raste die Rollbahn entlang und hob anmutig ab. Er blickte in den Vorderteil der Kabine. Keine Filmleinwand, natürlich - TWA hatte immer noch das Exklusivrecht an Filmvorführungen auf Inlandflügen. Schade. Die Zerstreuung wäre ihm gelegen gekommen.
Jeff sah aus dem Fenster, während der Jet über dem geschäftigen Bayshore Highway emporstieg. Er hätte ein Buch mitnehmen sollen. Tom Wolfes ›Bonbonfarbenes tangerin-rot gespritztes Stromlinienbaby‹ war soeben erschienen; er hätte nichts dagegen gehabt, es noch einmal zu lesen…
Das riesige Flugzeug erbebte plötzlich, erschüttert von einer dumpfen Explosion. Jeff sah voller Entsetzen, wie das rechte Außentriebwerk sich aus seiner Befestigung löste und ein gezacktes Loch in die Tragfläche riss, bevor es auf die unter ihnen ausgebreitete Stadt stürzte. Kerosin spritzte aus dem Tank in der Tragflächenspitze, dann explodierte es in einem weißen Flammenwirbel, der Stücke geschmolzenen Metalls ausspie.
»Da, die Tragfläche brennt!«, schrie jemand hinter ihm. Die Kabine war erfüllt von Schreien und dem Jammern der Kinder.
Das äußere Drittel der brennenden Tragfläche fiel ab, und das Flugzeug gierte heftig nach rechts. Jeff sah Häuser in den Pass zwischen den Hügeln geschmiegt, dann das blaue Wasser des Pazifiks, keine dreihundert Meter unter ihnen.
Sharla umklammerte seine linke Hand. Er erwiderte ihren Druck - angesichts des Grauens waren sein Groll und sein Schmerz vergessen.
Erst zwei Jahre in dieser
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