Replay - Das zweite Spiel
aufgestanden waren, hatte er das Haus verlassen.
Der alte Chevy stand in der geschwungenen Zufahrt, hinter dem großen Buick Electra seines Vaters und dem Pontiac seiner Mutter. Als Jeff den Anlasser betätigte, gab der Wagen ein vertrautes Husten von sich, dann sprang der Motor grollend an.
Er ließ die vorstädtische Wohngegend hinter sich, in der seine Eltern lebten, fuhr den Little Lake Conway entlang und blieb eine Weile mit dem Motor im Leerlauf stehen, als er an die Kreuzung von Hoffner Road und Orange Avenue gelangte. War der Beeline Expressway zum Cape bereits gebaut worden? Er wusste es nicht mehr. Falls ja, wäre das der kürzere Weg zur 1-95 nach Norden. In der Zeitung hatte nichts von einem Raketenstart gestanden, deshalb wäre der Verkehr rund um Cocoa und Titusville nicht besonders schlimm; aber wenn der Expressway noch nicht gebaut worden war, würde er auf einer alten zweispurigen Straße voller Schlaglöcher festsitzen. Er entschied sich, auf Nummer sicher zu gehen, in die Stadt hineinzufahren und die 1-4 nach Daytona zu nehmen.
Er fuhr durch das verschlafene kleine Städtchen, das vom kommenden Disney-Boom noch unberührt war und gerade erst die sich überstürzende Entwicklung der NASA- Niederlassung in vierzig Meilen Entfernung zu spüren begann. Er erreichte die 1-95 früher, als er erwartet hatte, stellte im Radio WAPE aus Jacksonville ein: ›Little‹ Stevie Wonder spielte ›Fingerrips, Part II‹, dann schmetterte Marvin Gaye ›Pride and Joy‹.
Drei Monate. Wie in aller Welt hatte er diesmal drei Monate verlieren können? Was hatte das zu bedeuten? Nun, es war sinnlos, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen - er konnte nichts daran ändern. Pamela würde aus gutem Grund ärgerlich sein, aber wenigstens würde er sie bald sehen. Konzentrier dich darauf, dachte er, während er durch ausgedehnte Pinienwälder und Buschland nordwärts fuhr.
Am Mittag erreichte er Savannah. Dort gab es eine kurze Lücke in der Autobahn, sodass er langsamer vorankam, und die Straßen der Stadt waren unpassenderweise von finster blickenden, behelmten Polizisten gesäumt. Vorsichtig fuhr Jeff an den Barrikaden vorbei, im Wissen um die Demonstrationen und den darauf folgenden Ausbruch von rassistischer Gewalt, der diese Woche hier stattgefunden hatte. Es war traurig, dies alles wieder von neuem beginnen zu sehen, doch er konnte nichts weiter tun, als den blutigen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
Kurz nach drei hielt er an einem Howard Johnson’s außerhalb von Florence, South Carolina, und nahm einen kleinen Imbiss zu sich. Das Flachland von Florida und der Küstenstreifen von Georgia lagen jetzt hinter ihm, und er fuhr durch eine ländliche Hügellandschaft, wobei er den kraftvollen Achtzylinder einen Tick über der ausgeschilderten Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 Meilen pro Stunde hielt.
Es war dunkel, als er an der Ausfahrt zu der Grundschule in Virginia vorüberfuhr, zu der er vor so vielen Jahren ungeplant gepilgert war, um die kleine Brücke wiederzusehen, die für ihn zum Sinnbild des Verlusts und der Vergeblichkeit geworden war. Vom Highway aus konnte er die Lichter des Hauses der Rendells sehen; seine hübsche frühere Lehrerin, das Objekt seiner einstmaligen Verehrung, würde gerade das Abendessen für ihren Mann und das Kind bereiten, dessen Geburt Jeffs pubertäre Eifersuchtsraserei ausgelöst hatte. Hab deine Familie lieb, wünschte er ihr im Stillen, während er an dem friedvollen Haus auf dem malerischen Hügel vorüberfuhr. Es gibt auch so schon genug Leid auf der Welt.
Spät am Abend aß er an einem Truckstop nördlich von Richmond Brathähnchen und Süßkartoffeln, kaufte eine Thermoskanne und ließ die Bedienung schwarzen Kaffee einfüllen. Der Beltway trug ihn um Washington herum, und kurz nach Mitternacht hatte er Baltimore erreicht. In Wilmington, Delaware, wechselte er von der 1-95 auf den Jersey Turnpike über, um dem Frühmorgenverkehr von Philadelphia und Trenton auszuweichen. Als die Nacht voranschritt, staunte er wie stets zu Anfang eines Replays über seine jugendliche Kondition - in den Dreißigern und Vierzigern hätte er diese Fahrt auf mindestens zwei Tage verteilen müssen, und selbst dieses Reisetempo hätte ihn erschöpft.
Die George Washington Bridge war um vier Uhr früh alles andere als ausgestorben, und Jeff stellte das Radio auf volle Lautstärke, als Cousin Brucie zusammen mit den Essex ›Easier Said Than Done‹ brüllte und winselte. Als er
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