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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Bursche denn sein? Das Bild bietet leider keinen Anhaltspunkt, den man als Größenvergleich nehmen könnte.«
    »Die Einheimischen berichten von einem Wesen, das etwa vier Meter lang sein soll und tiefe, rollende Laute ausstößt«, erläuterte Lady Palmbridge. »Meiner Information nach handelt es sich aber um ein Tier, das wesentlich größer sein muss.«
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich. Ich wollte erfahren, was sie noch alles aus dem Hut zaubern würde, um unserer Skepsis zu begegnen. Denn wir alle hatten zu viel gelesen und gehört, um uns von einem unscharfen Foto beeindrucken zu lassen.
    »Was ich Ihnen nun zeigen werde«, sagte sie, während wir uns wieder auf unsere Plätze begaben, »sind Videoaufnahmen, die meine Tochter kurz vor ihrem Verschwinden gemacht hat und die zusammen mit anderem Treibgut den Likouala heruntergetrieben wurden.« Ihre Stimme klang zittrig. Das war es also, wovon Benjamin Hiller gesprochen hatte. Die Videobänder mussten sich in dem Paket befunden haben, das die Lady vor einer Woche erhalten hatte.
    »Ich brauche Ihnen wohl nicht mitzuteilen, dass Sie über alles, was Sie hier sehen oder hören, absolutes Stillschweigen zu bewahren haben«, fuhr die alte Dame fort. »Sollten Sie versuchen, aus dieser Geschichte Kapital zu schlagen, werden Sie Bekanntschaft mit meinen Anwälten machen. Eine Erfahrung, die ich Ihnen gerne ersparen möchte.« Sie zwinkerte uns zu. »Abgesehen davon, dass Ihnen sowieso niemand Glauben schenken würde. Und jetzt passen Sie bitte auf.«
    Das Licht erlosch, und der Beamer projizierte diffuse Bilder an die Wand. Es dauerte etwas, bis ich mich orientiert hatte, doch dann sah ich eine mondbeschienene Wasserfläche, umrahmt von mächtigen Bäumen, die wie dunkle Wächter im Hintergrund standen. Die Stille der Nacht wurde nur vom Zirpen und Gurren einiger nachtaktiver Tiere unterbrochen. Die Wasserfläche war glatt wie ein Spiegel.
    Plötzlich stiegen an einer weit entfernten Stelle Luftblasen auf, kleine Wellen kräuselten die Spiegelfläche in konzentrischen Kreisen. Ich hörte das Flüstern einiger aufgeregter Stimmen hinter der Kamera, doch sie verstummten bald wieder. Die Blasen schwollen an, wurden zu einem weißgischtigen Katarakt, der seltsam unnatürlich anmutete inmitten der Stille des Dschungels. Stille? Tatsächlich waren all die anheimelnden Geräusche verstummt, die die Luft zuvor erfüllt hatten. Nur das Blubbern und Schäumen war zu hören und ein Geräusch, das ich nicht so recht einordnen konnte. Ein dumpfes Dröhnen wie von einem versunkenen Ozeandampfer.
    Plötzlich durchbrach etwas die Wasserfläche. Ein langer geschwungener Hals, der in einem winzigen Kopf endete.
    Obwohl ich diese Erscheinung schon auf dem unscharfen Foto gesehen hatte, erstarrte ich vor Faszination. Es war ein Unterschied, ob man nur ein Foto vor Augen hatte oder ob man dieselbe Aufnahme in der Bewegung und mit der dazu passenden Geräuschkulisse sah. Meine Finger krallten sich in das Leder des Sessels, während ich beobachtete, wie das Ungetüm seinen Hals von links nach rechts wendete, einige Meter durchs Wasser glitt und dann abtauchte. Die Wellen glätteten sich wieder. Ich faltete die Hände vor dem Mund. Diese Filmaufnahmen waren eine Sensation. Bei dem Tier, das wir soeben gesehen hatten, handelte es sich tatsächlich um etwas noch nie zuvor Gesehenes. Etwas, was noch nie zuvor beschrieben worden war. Überdies war das Bild scharf und klar, was bei Aufnahmen von Kryptiden, wie man diese unbekannten Lebewesen auch nannte, eine Seltenheit war. Ich wollte Lady Palmbridge gerade bitten, die Aufnahme noch einmal abzuspielen, doch Maloney kam mir zuvor.
    »Nicht sehr spektakulär«, brummte er. »Der Hals maß ja nicht mal zwei Meter. Sie hatten uns doch etwas Großes versprach …«
    Die Worte blieben ihm im Halse stecken, denn auf einmal tauchte der Hals erneut auf. Und diesmal stieg er hoch.
    Höher und höher.
    Ich hielt den Atem an, als ich erkannte, dass wir uns bei den ersten Bildern getäuscht hatten. Das war kein Hals, und die Verdickung am Ende war auch kein Kopf. Der tatsächliche Kopf durchstieß in eben diesem Moment die Wasseroberfläche, und das, was wir bisher gesehen hatten, war in Wirklichkeit ein langes, geschwungenes Horn, das den Schädel wie ein helmartiger Auswuchs krönte.
    Mir stand der Mund offen.
    Das Reptil blickte mit tellergroßen Augen über den See und gab dann ein Tuten von sich, das mich in meinem Verdacht bestätigte:

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