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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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geklungen, als ob etwas in der Luft zerrissen wäre.
    Schlagartig erinnerte er sich an all die unheilvollen Botschaften, die er erhalten hatte, seit er vor fünf Tagen sein Dorf verlassen hatte. An den schrecklichen Schrei, an den Traum von den Geistern der Ahnen und an die Verwüstung am See. Seine ganze Reise stand unter einem bösen Omen. Die Zeichen waren überall gewesen, er hatte sie nur nicht wahrhaben wollen, hatte in seiner Verblendung nicht erkennen wollen, dass die Götter ihm nicht wohl gesinnt waren. Wäre nicht der Spott und der Hohn, mit dem man ihn empfangen würde, er wäre schon längst wieder heimgekehrt. Doch jedes Mal, wenn er kurz davorstand aufzugeben, hatte er an die Gesichter der Daheimgebliebenen gedacht. Besonders die Enttäuschung in den Augen von Kalema könnte er nicht ertragen. Bisher hatte der Gedanke an ihre Schönheit immer genügt, ihn zum Durchhalten zu bewegen, aber jetzt war Schluss. Dieses Unwetter war eindeutig zu viel. Es gab keine Respektlosigkeit, keine Schadenfreude, keine Häme, die schlimmer sein konnte als das hier. Er konnte später immer noch einen zweiten Versuch wagen, irgendwann, wenn die Götter sich wieder beruhigt hatten.
    Aber dann wurde ihm bewusst, dass er sich selbst belog. Ein ›Später‹ würde es nicht geben. Einmal Versager, immer Versager. Würde er den Mut aufbringen, noch einmal loszuziehen? Egomo starrte hinauf in die Finsternis des Blätterdachs, wo die Baumwipfel wie unheilige Kreaturen aus der Schattenwelt auf ihn herabblickten. Er presste seine Waffe an die Brust und fing an zu weinen, so sehr übermannte ihn die Scham. Was war er nur für ein erbärmlicher Krieger. Jämmerlicher Feigling, schalt er sich. Wie konnte er jemals erhobenen Hauptes zu seiner Familie zurückzukehren?
    In diesem Augenblick tauchte ein weiterer Blitz die Dunkelheit des Waldes in gespenstisches weißes Licht. Und da sah er ihn. Direkt vor seinen Füßen, nur wenige Schritte entfernt. Ein Fußabdruck. Das Wasser, das sich in ihm gesammelt hatte, leuchtete für einen Wimpernschlag im Widerschein des grellen Himmels auf. Den darauf folgenden Knall hörte Egomo schon nicht mehr, so überrascht und erschrocken war er über die Größe des Abdrucks. Er war riesig. Eine lang gestreckte Fläche, von der drei Klauen nach vorn und eine nach hinten ragten. Das Ganze größer, als wenn er sich ausgestreckt auf den Boden gelegt hätte. Ein schrecklicher Gedanke nahm in Egomos Kopf Gestalt an. Keine Frage oder Vermutung, sondern eine unumstößliche Gewissheit.
    Mokéle m’Bembé.
    Kein anderes Wesen hätte eine solche Spur hinterlassen können. Er untersuchte den Abdruck. Er war keine vier Stunden alt, sonst hätte ihn der Regen schon längst unkenntlich gemacht. Der Untergrund war an dieser Stelle lehmig, so dass sich die Spur besonders deutlich abzeichnete.
    Egomo lehnte sich zurück. Es existierte also wirklich, das sagenumwobene, geheimnisvolle Ungeheuer. Dann waren all die Geschichten und Legenden wahr.
    Egomo atmete schwer, während er versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Das Wesen war hier entlanggelaufen. Hier, nur wenige Schritte von dem Ort entfernt, an dem er stand. Allein die Vorstellung, dass es sich hier aufgehalten hatte und womöglich immer noch aufhielt, versetzte ihn in höchste Alarmbereitschaft. Wie weggeblasen waren alle Zweifel und Ängste. Zurück blieb nur der uralte Instinkt des Jägers und der Wille zu überleben.
    Egomo duckte sich, verschmolz mit dem Boden des Regenwalds und wurde unsichtbar für die Augen des Feindes. Mit zwei, drei schnellen Handgriffen hatte er seine Armbrust geladen und begann der Spur zu folgen. Das war nicht leicht, denn der Regen hatte sie zu großen Teilen zerstört. Aber er war ein zu guter Spurenleser, als dass er sie verlieren würde. Doch er achtete darauf, nicht einfach hinter den Fußabdrücken her zu tappen, wie es die Weißen taten, sondern arbeitete sich in gebührendem Abstand zu ihnen vorwärts. Von Strauch zu Strauch und von Baum zu Baum, so wie er es von klein auf gelernt hatte. Dabei vergaß er nicht, sich nach allen Seiten abzusichern. Manche Raubtiere, allen voran Leoparden, hatten die Angewohnheit, ihre eigene Spur zu verlassen und sich rechts und links davon auf die Lauer zu legen. Die Spur führte immer weiter weg vom See, eine mannsbreite Wasserrinne entlang, die in Schlangenlinien nach Süden führte. In eine Gegend, in der Egomo erst einmal gewesen war. Einer unheimlichen Gegend. Dort wuchsen

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