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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dabei?«
    »Wozu das denn?«
    »War nur so ein Gedanke. Ich habe mich vor Antritt der Reise etwas näher mit dem See befasst und bin auf einige Ungereimtheiten gestoßen, denen ich gern nachgehen würde. Wenn es sich irgendwie einrichten ließe, einen dabeizuhaben, wäre das hilfreich für mich.«
    »Einen Geigerzähler«, sie drehte gedankenverloren einen Zopf um ihren Finger. »Garantieren kann ich es nicht, aber ich werde es versuchen. Bis dann.«
    »Bis …«, wollte ich noch antworten, doch da war die Tür bereits ins Schloss gefallen.

15
    Als ich erwachte, war mir, als schiene der Mond in mein Gesicht. Ich blickte mich um und sah, dass ich am Rande eines Sees saß, der sich wie eine Spiegelfläche vor mir ausbreitete. Das Wasser war so ruhig, dass ich erst mal die Hand in das kühle Nass tauchen musste, um mich zu überzeugen, dass ich nicht träumte. Das Wasser fühlte sich ölig an, und als ich die Hand wieder herauszog, bildeten sich Wellen, die sich in konzentrischen Kreisen ausbreiteten und sich in weiter Ferne verloren. Der klagende Ruf einer Eule hallte über das Wasser. Einsam war es hier. Einsam und kalt. Mein Atem kondensierte in der Luft zu Nebelwölkchen, die gespenstergleich in der mondhellen Nachtluft verwehten. Ich blickte mich um, auf der Suche nach einem vertrauten Gesicht, aber ich war allein. Aus irgendeinem Grund wagte ich es nicht, laut zu rufen. Die Stille hatte etwas Heiliges, und ich wollte sie nicht mit profanem Gebrüll entweihen. Ich blickte an mir herab. Merkwürdigerweise befanden sich keine Schuhe an meinen Füßen, und meine Kleidung hing in Fetzen an mir herunter. Zudem bemerkte ich voller Schrecken, dass meine Haut mit Schürfwunden und Prellungen übersät war. Ich wusste nicht, woher diese Verletzungen stammten. Es war, als habe sich ein Schatten auf mein Gedächtnis gelegt, den ich nicht zu durchdringen vermochte.
    Schwerfällig und unter großen Schmerzen begann ich mich aufzurichten und ein Stück des grasbewachsenen Ufers entlangzugehen. Der Boden fühlte sich weich und angenehm an, und es dauerte nicht lange, da spürte ich meine Verletzungen kaum noch. Langsam, geradezu traumwandlerisch, umrundete ich den See, der mich wie ein großes schwarzes Auge anzustarren schien. Ich fühlte mich unbehaglich, so ganz allein in dieser fremden Umgebung, und ich hatte gerade beschlossen, dem merkwürdigen See den Rücken zu kehren, als ich vernahm, wie in seiner Mitte Luftblasen aufstiegen. Erst vereinzelt, dann in immer größerer Menge sprudelten sie empor, bis sie zu einer schäumenden Fontäne wurden. Immer höher und höher schoss das Wasser empor, bis die Wassertropfen im gleißenden Licht des Mondes einen feinen Regenbogen auf den Himmel zeichneten. Es war ein wunderbarer Anblick. Wunderbar und erschreckend zugleich. Während ich noch fasziniert zu den mannigfaltigen Lichtbrechungen hinaufstarrte, stieg etwas Dunkles aus den Tiefen des Sees an die Oberfläche. Schwarz und glänzend tauchte es auf, erhob sich über die Spiegelfläche und löschte den funkelnden Regenbogen aus. Es war riesig, und es kam auf mich zu. Ich wollte fliehen, doch dann merkte ich, dass meine Füße festgewachsen waren. Schlingpflanzen hatten sie eingesponnen und verhinderten, dass ich mich auch nur um einen Zentimeter bewegen konnte. Wie gelähmt musste ich zusehen, wie das schwarze Etwas näher und näher kam. Als es nur mehr eine Armlänge von mir entfernt war, richtete es sich zu seiner vollen Größe auf und öffnete seine Augen. Zwei funkelnden Smaragden gleich blickten sie auf mich herab und schienen sagen zu wollen: »Was tust du hier? Wie kannst du es wagen, meinen heiligen Ruheplatz mit deiner Anwesenheit zu entweihen?« Doch tatsächlich hörte ich außer dem Gluckern des Wassers, das in öligen Schlieren seinen langen Hals herunterfloss, keinen Laut. Das Wesen mit den grünen Augen hob den Kopf, blähte seine faustgroßen Nüstern und ließ ein tiefes Grollen in seiner Kehle ertönen. Und dann, ich konnte es kaum glauben, begann es zu sprechen. Langsam und ungelenk, als hätte es seine Stimme seit Hunderten von Jahren nicht mehr benutzt. Zuerst verstand ich nicht, was es sagte, denn das Wesen sprach langsam und in einer Tonlage, die für das menschliche Ohr kaum mehr zu hören war. Doch nach einer Weile vernahm ich Worte, die mir vertraut waren. Worte in meiner Sprache.
    »Wachen Sie auf, Mr. Astbury«, sagte das Wesen. »Ich habe Hunger.« Mit diesem Satz öffnete die Gestalt ihr gewaltiges

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