Reptilia
Soldaten. Immerhin befand es sich mehr als drei Kilometer vom See entfernt. Wir haben also nur eine Wahl. Wir müssen schneller sein als er. Wir müssen ihn erwischen, ehe er uns erwischt. Die Sache hat nur einen Haken.«
»Wir wissen nicht, wo er ist«, führte ich den Gedanken zu Ende.
»Ganz recht, Mr. Astbury. Genau das ist der Punkt. Wir haben nie gewusst, wo er sich gerade aufhält, bis jetzt. Elieshi, wären Sie so gut …?«
»Ist mir ein Vergnügen.« Die Biologin stand auf, griff nach ihrem Notebook, stellte es auf den Tisch und klappte es auf. Der Bildschirm erstrahlte, und auf dem Monitor erschien eine Grafik, die aussah wie das Schnittmuster eines komplizierten Kostüms. Überall waren Linien und Punkte. An manchen Stellen verliefen sie parallel, dann kreuzten sie sich, um anschließend wieder auseinander zu laufen.
»Ohne jetzt zu sehr ins Technische zu gehen«, klärte sie uns auf, »möchte ich Ihnen kurz erklären, was ich gemacht habe. Zuerst bin ich Stewarts Wunsch gefolgt und habe unsere Umgebung nach Infraschallwellen abgesucht. Das Ergebnis war, kurz gesagt, niederschmetternd. Ich fand nichts, außer einer kleinen Gruppe Waldelefanten, die sich im Südosten, in etwa dreißig Kilometern Entfernung aufhalten. Ich ließ diverse Filter über die Aufnahme laufen, aber alles Fehlanzeige. Mokéle war stumm wie ein Fisch. Auch die Messung im hörbaren Bereich wies keinerlei Besonderheit auf. Ich habe dann das Gerät im Wasser des Sees, in einer Tiefe von ungefähr einem Meter angebracht und eine erneute Messung vorgenommen, wieder mit demselben negativen Ergebnis. Und dann hatte ich eine Idee. Ich musste an den Ursprung der Bioakustik denken und an die Tierart, für die diese Geräte ursprünglich gedacht waren. Es gibt, wie Sie wissen, noch eine andere Gruppe von Großsäugern, die in einem Frequenzband kommunizieren, das für uns unhörbar ist.«
Ich hob meinen Kopf. »Sie reden von Walen.«
»Genau. Wie ich Ihnen ja bereits bei unserer ersten Begegnung erzählt habe, hat die Wissenschaft der Bioakustik ihren Anfang mit der Erforschung der Walgesänge genommen.«
»Wollen Sie mir erzählen …?«
»Warten Sie’s ab.« Sie grinste mich an. »Ich habe also eine erneute Messung durchgeführt, nur mit dem Unterschied, dass ich diesmal in einem Frequenzband gesucht habe, das oberhalb des menschlichen Gehörs liegt, im Ultraschallbereich. Und was soll ich Ihnen sagen? Volltreffer! Ein ganzes Feuerwerk von Lauten und Signalen erschien auf meinem Monitor. Kaskaden auf- und absteigender Tonfolgen, die man mit etwas Fantasie durchaus als Gesänge deuten kann. Ich könnte mir vorstellen, dass Mokéle auf diese Weise mit Artgenossen kommuniziert oder sich in den dunklen Tiefen des Sees orientiert. Meiner Meinung nach verfügt das Tier über Sonar, eine der am höchsten entwickelten Sinnesleistungen im gesamten Tierreich.«
»Artgenossen?«, murmelte Sixpence, der bisher schweigsam an seiner Pfeife gezogen hatte.
»Natürlich. Erstens ist es undenkbar, dass ein einziges Exemplar so lange Zeit allein überlebt hat, und zweitens haben Sie mir doch von einem Jungtier erzählt. Wir dürfen also davon ausgehen, dass sich dort unten eine ganze Kolonie befindet.«
Ich lehnte mich zurück. Elieshi hatte absolut Recht.
Ich betrachtete sie unauffällig, und plötzlich erschien sie mir in einem anderen Licht. Bestimmt gab es viele Menschen, die sie wegen ihrer burschikosen Art und ihrer offenen Weiblichkeit unterschätzten – so wie ich –, aber das war ein Irrtum. In Elieshis Kopf tickte ein scharfer Verstand.
» Was haben Sie dann getan?«, fragte ich.
»Nun, der Rest war einfach. Ich habe mehrere Richtungsmessungen vorgenommen, sie mit einer schematischen Aufsicht des Sees kombiniert, und voilà …«, »… fertig war das Schnittmuster«, ergänzte ich ihren Satz. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber für mich sieht es immer noch aus, als wäre eine Horde Ameisen mit Tintenfüßen über den Bildschirm gekrabbelt.«
Sie verschränkte ihre Arme in gespielter Entrüstung vor der Brust. »Na kommen Sie, können Sie wirklich nichts auf dem Bild erkennen? Hier sind die Umrisse des Sees.« Sie zeichnete mit einem Finger eine dünne Linie nach. »Hier ist unser Camp. Irgendwo dort drüben ist das Lager der Soldaten, hier das von Emily Palmbridge. So, und jetzt sehen Sie mal, wie sich an dieser Stelle im See die Signale verdichten.«
Je länger ich auf den Bildschirm starrte, desto deutlicher traten die
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