Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Kongresszentrum verlassen, ihre Siebensachen gepackt und den nächsten ICE nach Frankfurt genommen. Am Tresen in der Bar des Speisewagens hatte sie versucht, sich zu beruhigen.
„Das stimmt“, Frau Schröder nickte, „danach erst hat sich herausgestellt, dass Ihr Mann zwar eingecheckt hatte, aber nicht an Bord gekommen war. Sein Gepäck ist mit der Lufthansa-Maschine nach Moskau geflogen, sein Sitzplatz im Flugzeug aber leer geblieben.“
Bedrückende Stille. Beates Blick wanderte von Gesicht zu Gesicht und blieb an Reinfelds Augen hängen.
„Einen Kognak, bitte.“
Seinem ersten Impuls folgend wandte er sich dem kleinen Wandschrank hinter ihm zu, zögerte dann und sah zu Frau Schröder, die ihm stumm signalisierte: Hat keinen Sinn, es ihr abzuschlagen. Er nahm den Remy Martin, schenkte einen Fingerhut voll in einen Schwenker und reichte ihn Frau Konrad. Sie kippte das Zeug runter und sprach ruhig und mit Entschiedenheit:
„Wir müssen die Passagiere, die den betreffenden Flug benutzt haben, danach befragen, wer von ihnen Konrad vor dem Abflug in der Wartehalle gesehen hat, und wenn, ob er allein oder in Begleitung war. Vielleicht hat der eine oder andere noch sonst etwas Außergewöhnliches gehört oder bemerkt.“
Nicht schlecht für eine Psychologin, dachte Reinfeld, der von Psychologen nicht viel hielt, und erwiderte:
„Genau das streben wir an. Die Aufenthaltsorte der zweihundertneunzig Passagiere sind über ganz Russland verteilt und lassen sich nicht ermitteln, aber hundertsiebzehn von ihnen haben ihren Rückflug innerhalb dieses und nächsten Monats gebucht, zwölf schon in der kommenden Woche. Wir werden jeden Einzelnen bei seiner Ankunft am Frankfurter Flughafen empfangen und auf der Stelle befragen. Vorher geht es nicht, es sei denn, der eine oder andere meldet sich aufgrund unserer an diese Personengruppe gerichtete Suchanzeige mit Konrads Bild, die die maßgeblichen russischen Tageszeitungen ab heute in unserem Auftrag geschaltet haben.“
Beate lächelte verlegen. Sie könnte sich ohrfeigen. Wer um alles in der Welt war sie schon, Profis Ratschläge zu erteilen, schon gar Kokos Leuten! Sie stand mit einem Ruck auf, viel zu schnell – wankte und fing sich gleich wieder.
„Ich bin zu Hause und Tag und Nacht erreichbar. Bitte“, sie sah Reinfeld eindringlich an, „rufen Sie mich sogleich an, wenn es Neues gibt.“ Mit „Guten Abend, Frau Schröder, guten Abend, die Herren“ wandte sie sich zum Gehen. Reinfeld schnellte hoch und stellte sich ihr in den Weg.
„Jemand von uns wird Sie nach Hause bringen.“
„Auf gar keinen Fall“, sie hob abwehrend beide Hände, „Sie haben Wichtigeres zu tun, jede Minute Ihrer Aktivität muss Konrad gelten. Ich nehm mir ein Ta…“ Sie blieb wie angewurzelt stehen, die Hände noch immer erhoben. Taxi, Taxi, Taxi wirbelte es ihr durch den Kopf, Konrad und Taxi. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Das Taxi, in das Konrad eingestiegen war, war falsch! Sie ließ die Hände sinken, kehrte an den Tisch zurück, setzte sich hin und sagte: „Taxi“.
„Selbstverständlich können wir Ihnen auch ein Taxi …“
„Nein, nein, nein, ich mein das anders.“
Alle warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, zuckten mit den Schultern. Sturzbetrunken, dachte Reinfeld, fünf Minuten klar und gleich wieder durch den Wind. Sie hatte Schnupfen – oder weinte sie? Schwer zu sagen, ihr Gesicht, das sie hinter dem Taschentuch verbarg, war schon vorher knallrot gewesen. Unvermittelt begann sie zu sprechen.
„Als das bestellte Taxi kam, um Koko zum Flughafen zu bringen, war er schon fort. Ein Taxi hatte ihn wenige Minuten davor abgeholt, das muss der Entführer gewesen sein.“
Das schlug wie ein Blitz ein. Die Gruppe saß da wie vom Donner gerührt. Sprachlosigkeit in der Runde. Nach einer Weile fragte Körner :
„Das hat bei Ihnen keinen Alarm ausgelöst?“
„Nicht im Mindesten. Ich hielt das zweite Taxi für einen Irrtum. Der Fahrer selbst auch. Er verwünschte lauthals die Disponentin in der Zentrale, die sei neu und baue Scheiß am laufenden Band, so oder so ähnlich hat er sich ausgedrückt.“
„Da hatte also nicht Koko das Ticket am Lufthansaschalter abgeholt und war eingecheckt, sondern der falsche Taxifahrer!“, rief Kellermann.
„Der wohl nicht“, widersprach Frau Schröder, „der hatte anderes zu tun, nämlich Herrn Konrad verschwinden zu lassen. Für den Coup am Flughafen kommt nur ein Komplize infrage.“
„Er ist also weder
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