Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
meine Seele bis dahin – von dir geschieden und der Wut verfallen. Hier werd ich drum, so wie du willst, gezüchtigt, des Zornes Wirkung wird hier offenbar. Und wie die Wut die Liebe zu dem Besseren erstickt, am Gutestun stets hindernd. Henker ist nicht Mörder. Verdammt noch mal! Kapierst du das nicht in all deiner Größe? Es konnte nicht dein Wille sein, dass er fortfahre immerzu. Wenigstens schickst du mir den Schlaf, ich fühle ihn kommen. Danke. Amen.
***
Hans überquerte freudig – denn zu seiner Verwunderung hatte er den Flug problemlos überstanden – den Flughafenvorplatz und stellte seinen Koffer an der Treppe des Rent-A-Car-Wohnmobils ab, ging hinein und buchte einen Leihwagen. Eine freundliche Hostess ließ ihn das Formular unterschreiben und überreichte ihm Wagenpapiere und Schlüssel für den Seat. „Zehn Schritte rechts von hier – Buenos dias, Senor.“
Verärgert nahm er den Koffer auf und ging zum Wagen. Es hätte seinem jungen Begleiter, dem Phantomzeichner Peter Litterer wohl angestanden, das Gepäck zu übernehmen, doch der war anderweitig beschäftigt. Peters Flirterei störte ihn mehr und mehr. Er ließ keine Gelegenheit dazu aus. Nicht die Stewardess im Flieger – die ihn jedoch abblitzen ließ – noch die mitreisende Lady, die zwei Reihen vor ihnen saß. Jetzt machte er eine Andalusierin an – beziehungsweise umgekehrt – die Brüste quollen unübersehbar aus ihrem Mieder. Sie hatte sich genau dort postiert, wo die Reisenden vorbeikommen mussten, und unbeweibte Männer mit sehnsuchtsvollen Blicken bedacht. Logisch fiel Peter auf sie rein. Seine Hand glitt über ihr Mieder und sein enger, eierschalenfarbener Anzug wurde einer Zerreißprobe ausgesetzt. Rehbein war drauf und dran, dem Burschen den Laufpass zu geben. Woher aber sollte er Ersatz auftreiben? Klaus Litterer hatte mit seinem Lob über die zeichnerische Fähigkeit seines Sohnes nicht übertrieben. Vor dem Abflug hatte der Bengel ihn noch auf der Rollbahn damit verblüfft, dass er mit lockerer Hand das Portrait von Rehbeins Schwester nach kurzer Beschreibung treffend zu Papier brachte.
Um dem Casanova Gelegenheit zu geben, sich von der braunen Schönen zu verabschieden, rief er jetzt und hier im Stehen – statt nachher bequem vom Seat aus – in Frankfurt an und ließ sich von Reinfeld die Adresse des Rentners Huber durchgeben. Es war nicht einfach, mit dem Telefon am Ohr und dem Koffer als Schreibunterlage. Die Mühe war vergebens. Peter sah vergnügt zu ihm herüber und knutschte munter weiter. Hans gab sich einen Ruck, stapfte entschlossen auf ihn zu und donnerte: „Schluss der Vorstellung, auf geht‘s nach Eulalia!“
„Muy bien!“, rief das Mädchen erfreut, „Eulalia, si, si!“
„No, no, du no!“, konterte Rehbein wütend, kramte eilends in seinem Gedächtnis und verbesserte sich: „Usted no!“ Litterer blickte die Schöne treuherzig an, hob und senkte die Schultern und holte Rehbein auf halbem Weg zum Mietwagen ein. „Spielverderber“, murmelte er beim Einsteigen. Rehbein reagierte nicht, er schaltete den Navigator auf „Deutsch“ und gab Eulalia - Avenida Columbretes E-5 ein.
Der Weg führte unter azurblauem Himmel durch Eukalyptusalleen, Pinienwälder, Mandel- und Olivengärten, auch an frischen Salzhalden entlang und brachliegenden, von Fenchelkraut überwucherten Äckern. An der alten Windmühle kurz vor dem Ortseingang vorbei ging es zur Innenstadt, wo die Straßen bald eng und verwinkelt wurden. Rehbein konzentrierte sich auf den Verkehr, während Litterer das pulsierende Leben in den engen Gassen bewunderte. Ein Straßencafé am anderen, Ketten farbenfroher Läden, Stände, Melonenhügel auf Karren, auf und ab der Rambla bunte Vögel in Käfigen zwischen Zeitungs-, Eis- und Souvenir-Ständen. Zwei Gitarrenspieler am Anfang, eine Blaskapelle am Ende … und Senoritas, Signorinas, Girls, Mädchen, Mademoiselles – blonde, braune, rote – der Charme aller Nationen und Erotik ohne Ende.
Rehbein hatte sich unter einer Avenida eine breite Allee vorgestellt und nicht eine enge Gasse mit hoch ragenden Häuserreihen zu beiden Seiten, die allenfalls zur Mittagszeit ein paar Sonnenstrahlen abbekamen. Georg Huber konnte darüber nicht klagen, er bewohnte die sonnige vierte Etage der Nr. 5-A. Sie stiegen hintereinander das steile, enge Treppenhaus nach oben. Es gab kein Fenster. Auf jedem Absatz spendete eine Glühbirne trübes Licht. Rehbein hatte etwas Mühe mit den vielen
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