Dachgaube aus durch die Scheibe auf die Straße hinunter. Es regnete in Strömen. Ein kleiner Bub in Anorak mit Kapuze machte sich einen Spaß daraus, von der Bordsteinkante in die große Pfütze hinunterzuhüpfen, dass es spritzte. Das Wasser hatte sich am Trottoir entlang in der Gosse angestaut.
Rehbein ging zum Schreibtisch zurück, holte die Flasche hervor, ließ zwei Zentimeter Kognak in das Wasserglas gluckern und kippte das Zeug runter. Er nahm den Hörer ab und tippte problemlos die Zahlen bis Ende durch.
„Hallo, Anuschka, Hans hier.“
„Das ist aber eine Überraschung. Hallo, Hans!“
„Ich sah deine Anzeige in den Gelben Seiten.“
„Und?“
„Gratuliere dir zu deinem professionellen Team! Sehr beeindruckend. Ich möchte deine Dienste beanspruchen.“
„Gern. Bring mir den Text vorbei, den du übersetzt haben willst, oder schick ihn per E-Mail. Wird sofort erledigt.“
„Es geht nicht um eine Übersetzung. Ich brauche einen Dolmetscher oder eine Dolmetscherin. Der oder die soll mit mir nach Bochnia reisen, um die Großmutter einer bestimmten Person zu interviewen.“
„Sagtest du Bochnia? Bochnia in Polen?»
“ Ja. Östlich von Krakau.”
„Für wann ist das geplant?”
„Zum schnellstmöglichen Termin.”
„Bleib einen Moment dran, bin gleich wieder da.”
Klaviermusik perlte in sein Ohr. Eine bekannte Melodie, doch woher kannte er sie?
„Da bin ich wieder. Stanislaw Glatzky wird dich begleiten. Sein Polnisch ist exzellent, sein Deutsch befriedigend. Ich maile dir die Vertragsvereinbarung, und wenn du sie sofort unterschreibst und zurückschickst, kann die Reise übermorgen starten, wenn du Flug, Mietauto und Hotel bis dahin unter Dach und Fach hast.”
„Super! Und mail mir den Namen des Dolmetschers gleich mit – für die Buchungen. Ich sitze hier und warte darauf. Die Adresse lautet
[email protected].”
„Bis gleich.”
„Okay.”
Hans Rehbein, schweißgebadet, riss die Kleider vom Leib und stellte sich unter die Dusche. Anuschka! Mein Gott, Anuschka. Allein ihre Stimme!
„Sie haben Post”, sagte der Computer. „Dachte ich mir”, antwortete er und ließ die Maus Anuschkas Brief anklicken.
„Hallo Hans, im Anhang findest Du die Auftragsbestätigung. Darin ist die Serviceleistung beschrieben und das Honorar aufgezeigt. Das mit Glatzky habe ich mir anders überlegt. Ich lasse mir doch einen bezahlten Ausflug in die Heimat nicht entgehen – außerdem bin ich sofort startbereit.“
Hänschen geriet aus dem Häuschen. Er veranlasste sein Reisebüro, alles zu arrangieren und fuhr in die Zeilgalerie – ein paar neue Klamotten waren ohnehin fällig. Danach ging er zum Friseur. Glücklich, dass ihm der Flug nach Ibiza die Generalprobe zum Fliegen abverlangt hatte.
Vierundvierzig Stunden später saßen sich die Rehbeins unter den gotischen Gewölben in den Tuchhallen von Krakau gegenüber und warteten auf Wanda Stonawski. Anuschka hatte vom Radisson SAS Hotel aus mit Wanda telefoniert. Die war hocherfreut, der Freundin aus alten Zeiten begegnen zu können, und bestand darauf, Anuschka und ihren Begleiter nach Bochnia oder wohin auch immer zu kutschieren.
Anuschka zog die freundliche Kellnerin, die in ihrer Tracht sehr adrett aussah, sogleich in eine kurze Unterhaltung, rein aus Freude darüber, hier zu sitzen und Polnisch sprechen zu können.
„Seit wann tust du Zucker in den Kaffee?“, fragte sie ihren ehemaligen Ehemann.
„Seit heute. Man kann mit dem Löffel darin herumrühren und somit seine Verlegenheit verbergen. Früher zündete ich mir in solchem Fall eine Zigarette an.“
„In welcher Verlegenheit befindest du dich?“
„Das ist nicht leicht zu erklären. Das Publikum um mich herum irritiert mich. Ich hatte mir die Polen in Krakau irgendwie anders vorgestellt.“
„Mit Hörnern oder krummen Säbeln?“
„Mach ruhig deine Witze. Im Ernst, Anuschka, ich muss erst damit klarkommen, dass mitten in einer polnischen Stadt nichts anders ist als in oder vor irgendeinem Café in Frankfurt oder Offenbach.“
Er gestand ihr nicht sein Unbehagen darüber ein, dass er sich in seinem neuen Zeug Anuschka gegenüber irgendwie „overdressed“ fühlte. Sie sah in ihren stonewashed Jeans und dem lässigen Pullover reizend aus. Reizend. Und fremd. Sie hatte sich verändert. Oder er? Das Wiedersehen war nicht so gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte. Kein Prickeln wie noch am Telefon.
„Bist kauzig wie eh und je“, stellte sie fest,