Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Visitenkarte heraus und reichte sie ihm. Rehbein wusste gleich, dass es nur die Anschrift in Fischbach sein konnte, dennoch warf er einen Blick darauf.
„Ah, ja! Diese Adresse ist mir bekannt, bin auch schon dort gewesen, doch Herr Schwarz weiß auch nicht, wo sie steckt. Er sagte, manchmal bliebe sie tagelang weg, ohne vorher etwas zu sagen, aber er war ihr nicht böse und auch nicht besorgt, sondern zuversichtlich, dass sie bald wieder auftaucht.“
„Ich denke“, strahlte Kobieta Bilawa, „dass ihr Liebster sich wieder einmal frei nehmen konnte und die zwei sich ein paar schöne Tage im Süden machen. Dann vergisst mein Täubchen gern die Welt, sogar ihr altes Großmütterchen. Ihr Opa in Fischbach kann Michailowitsch nicht ausstehen und wäre sehr böse, wenn er wüsste, dass sie bei ihm ist und dass er überhaupt noch in Deutschland ist, darum sagt sie ihm das nicht. Die beiden sind ein heimliches Paar. Und sehr, sehr glücklich. Dabei wird es immer bleiben, gerade deshalb, weil sie sich immer nur für kurze Zeit sehen können …“
Hans konnte sein Glück kaum fassen. Die redselige alte Dame ersparte ihm die Mühe, sie mit subtiler Dialektik zu dem Punkt zu führen, auf den er hinauswollte. Sein Herz hüpfte freudvoll. Michailowitsch! Der Alte in Fischbach hatte Duda so genannt. Ich bin auf der richtigen Spur! Kaum anzunehmen, dass es hier um einen anderen als um Duda ging! Himmel hilf, dass die Frau ihn mir beschreiben kann. Warum nur habe ich Peter nicht mitgenommen?
Der Kaffee wurde serviert und dazu kleine Küchlein und Konfekt.
„Wie romantisch! Und welch ein romantischer Name. Michailowitsch – klingt für mich russisch, oder ist der junge Mann Pole?“
„ Junger Mann trifft nicht ganz zu, er könnte gut und gern ihr Vater sein. Nein, Pole ist er nicht. Michailowitsch Duda ist Russe oder Ukrainer, so genau weiß ich das nicht, aber er spricht perfekt Polnisch und ich glaube, Deutsch ebenso.“ Michailowitsch Duda. Wie elektrisiert fuhr Rehbein zusammen – kaschierte das mit einem Nieser. Er musste tief Luft holen, ehe er weitersprechen konnte.
„Sie kennen ihn persönlich?“
„Aber ja! Theresa war an meinem siebzigsten Geburtstag mit ihm hier. Ein gut aussehender und fröhlicher Geselle.“
„Der für Theresa nur selten Zeit hat und so alt ist, dass er ihr Vater sein könnte?“
„Gerade darum. Mein Täubchen liebt ihn sehr – nebenbei ist er für sie eine Art Vaterfigur – wohl weil sie ohne Vater aufgewachsen ist – und außerdem geht ihr ihre Freiheit und Unabhängigkeit über alles. Sie ist gescheit und tüchtig und kann für sich selber sorgen … und sogar für mich noch mit. Ich denke, man kann einen Mann lieben und sich von ihm lieben lassen, aber trauen kann man keinem. Heiraten wird sie nie wollen nach dem Desaster, das ihrer Mutter widerfahren ist, meiner Tochter Krystina. Krystina nahm sich das Leben, als ihr Mann sie und das Kind verließ. Theresa war damals zwei Monate alt. Wir haben sie zu uns in unsere Hütte genommen, sie ist bei uns groß geworden. Wir waren arm, trotzdem war ihre Kindheit glücklich. Ich war für sie die Mama, nicht die Großmutter, in meinem Mann aber, mit seinem Vollbart, sah sie bis zu seinem Tod den Großvater.“
Die freundliche Alte musste sich nun doch eine Träne aus dem Gesicht wischen, gleich aber lachte sie wieder und sagte:
„Kommen Sie mit ins Hinterstübchen, ich zeig Ihnen was.“
Die drei folgten ihr in ein kleines Erkerzimmer. Es roch nach feuchter Erde aus Kübeln mit Gummibäumen, Philodendren, Amaryllis und Hibiskusbäumchen, Zimmerefeu schmückte die Wände und umrankte Dutzende von Fotos mit Theresa. Theresa allein und in Gruppen, Theresa auf einer Blumenwiese, auf dem Schaukelpferd, unterm Weihnachtsbaum, im weißen Kommunionkleid und mit einem Blumenkranz im lockigen Blondhaar, Theresa in allen Lebensjahren vom Baby bis in die heutige Zeit – so, wie Rehbein sie von den Fahndungsbildern her kannte. In der untersten Reihe war die schöne Theresa mit einem gut aussehenden Mann zu sehen, der ihr Vater sein könnte . Hans Rehbein starrte wie magisch angezogen auf dieses Foto und konnte den Blick nicht davon wenden, bemüht, sich das Gesicht dieses Mannes bleibend einzuprägen. Und bemüht, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen, als er fragte, nur um sicher zu gehen: „Ist das neben Theresa ihr Freund?“
„Ja, das ist Michailowitsch Duda. Sind sie nicht ein wunderschönes Paar, mein Täubchen und ihr
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